„Wer politisch diskutiert, sollte die Zusammenhänge kennen“. Die noch junge Gesprächsreihe „in vino veritas“ im Frankreichladen „savoir vivre“ sei dafür gut geeignet, findet Steffen Laub. Er kennt den Initiator Uwe Sochor und wollte gestern bei ihm eigentlich nur Malzbonbons kaufen. Nach einem Hilferuf von Sochor erklärte er sich kurzfristig bereit, als Moderator einzuspringen. Der ehemalige Olbernhauer Bürgermeister und stellvertretende Landrat, der seit einigen Jahren in Pieschen wohnt, löste die Aufgabe souverän.
Die Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadtrat und den Stadtbezirksbeirat machten es ihm nicht allzu schwer. Sochor, der selbst als Parteiloser für die SPD in den Stadtbezirksbeirat will, freute sich, dass außer der FDP (hatte sich entschuldigt) und der AfD (hatte auf die Einladung nicht reagiert) ein buntes politisches Spektrum zur Diskussion zusammen gekommen war. „Pieschen first“ – das können viele Mitglieder meiner Fraktion schon nicht mehr hören, meinte Veit Böhm, der sich als Kaditzer seit Geburt vorstellte und für die CDU im Stadtrat sitzt. Weil er wiedergewählt werden will, kündigte er gleich an, früher zu gehen, um noch weitere Plakate aufzuhängen. Und er machte gleich klar, dass er die Initative des Vereins Pro Pieschen, einen Stadtteilfond und einen Stadtteilbeirat zu bilden, nicht gut findet. Das gerade erst zugeteilte Budget für den Stadtbezirk sollten die gewählten Beiräte verteilen, betonte er. Kati Bischoffberger, die für die Grünen wieder in den Stadtrat einziehen möchte, verteidigte die Idee. „Das ist eine wunderbare Sache. Hier wird die Verantwortung auf breite Schultern im Stadtbezirk verteilt“, sagte sie. Ob sich die Idee durchsetzen kann, werden die 19 neu gewählten Stadtbezirksbeiräte nach ihrer Konstituierung im September entscheiden.
Wie schwer der Umgang mit dem neuen Status der Stadtbezirksbeiräte seit Januar 2019 ist, machte die Debatte über den Umgang mit dem Budget von 535.350 Euro für das Jahr 2019 deutlich. Anfang Mai hatte die Beiräte rund 120.000 Euro für die Pflanzung von Bäumen in der Klingerstraße und in der Kopernikusstraße bewilligt. „Warum in der ohnehin schon begrünten Klingerstraße und nicht an einer schattenlosen Haltestelle“, fragte Tino Jasef, der für die Freien Wähler in den Stadtbezirksbeirat einziehen möchte. Es habe zu wenig Anträge von Vereinen oder anderen Initiativen gegeben, erläuterte SPD-Stadtratskandidat Stefan Engel, die Entscheidung. „Das ist ärgerlich, aber bevor das Geld an den Stadthaushalt zurückgegeben werden muss, wollten wir es sinnvoll ausgeben.“ Einig war man sich darüber, dass die neugewählten Beiräte sich Gedanken darüber machen müssen, wie die Information über das stadtteileigene Budget besser verbreitet werden kann. Auch über Ausgabenschwerpunkte sollte man sich langfristig verständigen. Das Informationsdefizit im Stadtbezirk sei groß, meinte Otmar Winkler (Grüne). Zuhörer Thomas Graetz forderte mehr Bürgerkontakt von den Politikern und er fügte hinzu: „Mich interessieren Resultate“.
Ein unerwarteter Zwischenruf kam von Mark Feilitzsch. Er forderte mehr Streitkultur. Dann erinnerte er an das Jahr 2015 und stellte eine Verbindung zwischen den Blockierern der als Flüchtlingsunterkunft geplanten Turnhalle in der Thäterstraße in Übigau und dem Überfall auf ein Wohnprojekt in der Overbeckstraße her und griff den aus Übigau stammenden Stadtbezirksbeiratskandidaten der Freien Wähler an. Nachdem sich für eine Fortsetzung dieser Debatte keine Mehrheit fand – Sochor hatte dafür plädiert, für die sicher wichtige Aufarbeitung dieser Zeit den passenden Rahmen zu finden – verließ Feilitzsch die Veranstaltung, deren Verlauf er bis dahin auch auf Twitter kommentiert hatte. (Die Verantwortlichen für den Überfall sind im März 2018 verurteilt worden. Feilitzsch war als Rechtsanwalt an dem Prozess beteiligt.)
Diskutiert wurde auch über die Art und Weise, wie Beschlüsse im Stadtrat zustande kommen. Die Pieschener Vertreter von CDU, SPD, Grünen und Linke betonten, dass oft genug im Vorfeld eine Einigung zu Stadtteil-Themen erzielt werde. „Da wird parteiübergreifend zusammengearbeitet“, so Böhm. „Vielen Beschlüssen geht eine langfristige Positionsbildung voraus“, ergänzte Pia Barkow (Linke). Oft genug gelinge es, die Fraktionskollegen aus den anderen Stadtteilen zu überzeugen. Steffen Große, Stadtratskandidat der Freien Wähler, kritisierte den Fraktionszwang bei Stadtratsentscheidungen und kündigte für den Fall des Einzuges in den Stadtrat eine Politik an, die sich an der Sacharbeit orientiere. Böhm hielt dagegen, dass Entscheidungen mit Zufallsmehrheiten nicht besser seien. Engel fügte hinzu, dass die Beschlüsse im Stadtbezirksbeirat „viel sachorientierter entstehen“. Da sei wenig Platz für ideologisch geprägte Diskussionen.
Respektvoller Umgang miteinander sei wichtig in der Demokratie – da waren sich alle Beteiligten einig. Moderator Steffen Laub erinnerte nach zwei Stunden an den Mai 1989. „Es gab damals keine Wahl“, sagt er und drückte die Hoffnung aus, dass künftig nicht nur die Politiker auf ihre Wähler zugehen, sondern die Wähler die Politiker mehr in die Pflicht nehmen.
Nicht ich, sondern Tino Jasef hat die Blockade 2015, aus der heraus der rechtsterroristische Anschlag auf die Mangelwirtschaft vorbereitet wurde, auf der Veranstaltung zum Thema gemacht – als Beispiel eines gelungenen „Bürgerdialoges“. Es ist beschämend – und eben bezeichnend für die mangelnde Streitkulur in Dresden, dass keiner der anwesenden Vertreter demokratscher Parteien hierzu Position bezog.
Im Übrigen wurde im März 2018 nur ein Teil der Angreifer – diejenigen der Gruppe Freital – verurteilt, andere aus dem Umfeld der Freien Kameradschaft Dresden später, gegen wieder andere laufen noch Prozesse und einige sind noch nicht ermittelt. „Die Verantwortlichen“ sind aber nicht nur die, die Sprengsätze und Steine geworfen haben, sondern saßen auch im Raum, Zu den Hintergründen empfehle ich den Artikel der Beltower News aus dem Jahr 2017: https://www.belltower.news/dresden-uebigau-gruppe-freital-nutzte-zelt-besorgter-buerger-als-treffpunkt-fuer-gewalttaten-44354/