Thema: Meine Corona Geschichte

„… das war wie eine Sechser im Lotto“ – erzählt von Gudrun Meinel

Ich hatte bis Ende 2019 zahlreiche Operationen zu überstehen. 2020 wollte ich ganz neu anfangen. Es sollte ein neues Leben losgehen. Ich hatte mich nach der Lungenkrebs-Operation sehr auf die Reha an der Ostsee gefreut. Und als dann die ganzen Corona-Nachrichten. Ich hatte große Angst, war kopflos und vor allem hatte ich keine Masken. Ich war ja frisch an der Lunge operiert und überall waren die Masken ausverkauft. Doch dann hatte ich Glück. Der Zahnarzt auf meiner Straße hat mir dann eine geschenkt.

Mein Tagestreff hatte geschlossen. Ich war sehr allein, hatte große Angst und habe am Anfang sogar immer Handschuhe getragen. Die gab es ja dann auch bald nicht mehr.

Ich hebe mein Geld immer am Schalter ab. Weil meine Sparkassen-Filiale plötzlich geschlossen war, musste ich bis auf die Königsbrücker Straße fahren. Irgendwann habe ich mich mit der Situation arrangiert und mich getraut, die Handschuhe wegzulassen.

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Jetzt gibt es Mutanten vom Corona-Virus. Da kommt neue Angst. Ich hab mir aber gesagt, ich bleib jetzt ruhig. ich höre keine Nachrichten mehr, ich höre Musik. Im vergangenen Jahr hatte ich viele Gespräche auf der Straße. Hab spontan mit Menschen geredet, Menschen kennengelernt.

Ansonsten waren die Krankenhausaufenthalte in der Corona-Zeit schlimm, weil wir keinen Besuch empfangen durften. So stelle ich mir das Gefängnis vor. Eine Freundin wollte mir Wolle vorbeibringen. Sie musste vor der Stationstür stehen bleiben. Ich stand in großem Abstand auf der anderen Seite. Zwischen uns stand eine Krankenschwester. Sie war sehr unfreundlich und hat uns laut ermahnt, wir sollen ja nicht näherkommen. Die Schwester hat meiner Freundin dann den Beutel mit Wolle abgenommen. Wir haben uns so von Weitem umarmt und uns Küsschen zugeworfen. Ich musste so weinen, ich konnte mich gar nicht beruhigen. Ich hab dann noch am Fenster gestanden und sie hat von unten ganz lange gewunken und ich konnte nicht aufhören zu weinen.

Jetzt kann ich meine Freundinnen nicht sehen, weil wir alle Angst haben, uns anzustecken. Eine Freundin schickt mir immer Bilder von ihren Spaziergängen, mit der anderen telefoniere ich viel. Wir reden nicht über Corona, wir reden über was Schönes. Ich war nie erkältet, ich klopfe auf Holz. Im Dezember 2019 hatte ich eine schwere Lungenentzündung. Ich frage mich heute, ob ich damals vielleicht schon Corona hatte?

Im Krankenhaus hatte ich eine sehr nette Bettnachbarin. Wir hatten richtig Spaß. Wir haben viel gelacht. Da kam mal ein Pfleger gucken und fragte: „Was ist denn hier los?“ Es ist so schön, jemanden zu haben, mit dem man über etwas anderes reden kann.

Ich finde die Menschen sind so anders geworden, irgendwie aggressiver. Mir fehlen Kontakte. Ich habe zu Hause niemanden zum Reden. Wenn die Lockerungen kommen, freue ich mich auf die Begegnungsstätte. Ich will wieder mit den anderen kochen, backen, spielen, Spaß haben.

So, wie im vergangenen Sommer, als die Regeln wieder lockerer wurden. Da war ich mit meiner Familie im Ballhaus Watzke. Meine Tochter durfte aus Griechenland kommen. Wir mussten keine Maske tragen. Das war wie ein Sechser im Lotto.

Diese Corona-Geschichte hat Gudrun Meinel, 61, erzählt. Aufgeschrieben hat sie Maxi Luise Kabella.

AUFRUF: IHRE CORONA-GESCHICHTEN

Angaben über die Zahl der am Covid-19-Virus erkrankten und verstorbenen Einwohnerinnen und Einwohner in Stadtbezirk Pieschen werden nicht erhoben. Die Statistik liefert nur stadtweite Daten.

Wir möchten statt dessen gern Ihre Geschichten und Erlebnisse aus dem vergangenen Jahr und den kommenden Monaten hier veröffentlichen. Was hat Sie beschäftigt, woran sind Sie verzweifelt, was hat Ihnen Mut gemacht, was hätten Sie anders gemacht? Homeoffice, E-Learning, Corona-Einmalhilfen, Mundschutz, Notbetreuung, Systemrelevanz, Intensivstation, Isolation, Quarantäne und viele weitere Stichworte haben das Leben anders werden lassen.

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