„Liebst du mich?“, fragt Cristian seine Oscary. Sie lacht und fährt mit ihrem Finger vorsichtig die Zeilen des Lehrbuchs entlang. Dann liest sie langsam vor: „Naja, ich mag dich schon.“ Eigentlich sind Oscary und Cristian verheiratet, aber jetzt sitzen sie im Erdgeschoss der Freien Evangelischen Gemeinde in Trachau und lernen deutsche Personalpronomen, aktuell bei der kostenlosen Deutschstunde der Initiative „Willkommen in Trachau“.
Eine Initiative des Ökumenischen Informationszentrum e.V. und der Evangelisch-Lutherischen Laurentiuskirchgemeinde Dresden. Vor fünf Jahren sind Oscary und Cristian aus Venezuela nach Deutschland gekommen. Cristian hat sogar schon die B1 Prüfung des Volkshochschulkurses bestanden, aber bis sein nächster Kurs beginnt, dauert es noch.
Die wöchentliche Deutschstunde der Initiative „Willkommen in Trachau“, motiviert ihn, sagt er. Jede Woche Dienstag und Mittwoch treffen sich hier abends Menschen, um gemeinsam Deutsch zu lernen. Betreut werden sie dabei von Volker und Angela, einer pensionierten Lehrerin. Sie engagiert sich schon seit 2015 für Flüchtlinge. „Das ist doch eine Selbstverständlichkeit“, fasst sie ihre Motivation zusammen. Besonders freut es sie, wenn sie von ehemaligen Schülern hört, die mittlerweile eine Ausbildung oder ein Studium anfangen.
Aber sie weiß auch, wie schwierig es sein kann, die Sprache zu lernen und sich zu motivieren. Mit ihren Nachbarn haben Cristian und Oscary außer dem Grüßen nur wenig Kontakt. Die eigene Tochter spricht fließend Deutsch, aber zuhause möchte sie Spanisch reden, um nicht ihre Muttersprache zu verlernen. Umso wichtiger ist für sie die Sprachpraxis, die sie bei den wöchentlichen ehrenamtlich geleiteten Treffen bekommen. Zwischen den Aufgaben im Schulbuch über den Traummann oder Verabredungen im Kino hört man es im Hintergrund immer wieder bohren. Angela erklärt, dass das Haus entkernt wird. Entkernt, was heißt das denn? Wie umschreibt man das Wort? Jetzt überlegen auch Angela und Volker. Schon wieder eine neue Vokabel.
Durch den Unterricht hat Angela auch mehr über ihre eigene Sprache gelernt. Auf einem Zettel notiert sie, auf welche Präpositionen der Akkusativ folgt. „Mit mir, aber ohne mich“, verdeutlicht sie Oscary.
Seit Mitte September bietet die Initiative „Willkommen in Trachau“ die Deutschstunden an. Seit diesem Jahr sind auch Menschen aus der neuen Containerunterkunft dabei. Insgesamt kommen meistens um die zehn Leute, am diesen Tag nehmen aufgrund des Bahnstreiks und anderer Termine nur Oscary und Cristian das Angebot wahr.
Meine Freunde aus…
Der Klassenraum in Alttrachau ist denkbar einfach gestaltet, ein runder Tisch in der Mitte des Raumes. Darauf Grammatikbücher, selbst finanziert. An der Seite steht eine kleine Tafel, auf die jemand mit krakeligen Buchstaben „Überschrift“ geschrieben hat. Volker ist kein Lehrer. „Wenn jemand anderes, der besser qualifiziert ist, das machen möchte, dann gerne.“, sagt er. Bis dahin engagiert er sich weiter neben seinem Vollzeitjob. Über seine Schüler spricht er meist als „seine Freunde aus…“ Mit Cristian verbindet ihn inzwischen eine Freundschaft, die beiden treffen sich auch außerhalb des Unterrichts.
Wenn man Cristian und Oscary nach ihrem Alltag fragt, werden die beiden plötzlich ernst. „Gerade sind wir arbeitslos“, erklären sie. „Weißt du, wir sind wirklich dankbar für Deutschland“, sagt Cristian. Aber manchmal wünscht er sich, dass alles etwas schneller geht. In Venezuela hat er als Familientherapeut gearbeitet. Das möchte er hier auch machen und seine Erfahrungen mit dem für ihn teils deprimierenden Asylverfahren einbringen. Aber bis dahin muss er noch die Sprache weiter lernen. „Du hast ein Leben und auf einmal hast du nur noch zwei Koffer“, fasst Cristian seine Erfahrungen von Venezuela nach Kolumbien zusammen.
Trotzdem sind ihre Tage nicht leer. „Also ich lerne Deutsch“, sagt Cristian und zwinkert Volker zu. Ansonsten hilft er viel in der Gemeinde aus und unterstützt andere Flüchtlinge aus Venezuela, das meist auf Spanisch. Volker zu sehen, motiviert die beiden, Als sie gehen, sagt Volker noch einmal: „Cristian, wir sehen uns am Donnerstag“. Schnell schaut Cristian im Deutschbuch nach dem richtigen Personalpronomen: „Ja, ich sehe dich am Donnerstag.“
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