Finger weg! Lass das! Dafür bist du noch zu klein! Das sind Sätze, die jedes Kind schon einmal gehört hat – an einem Ort in Dresden aber fallen sie niemals. Schon im 20. Jahr bauen Grundschulkinder ihre eigene TraumZauberStadt, kurz Kitrazza. Erwachsene sind nur als helfende Hände zugelassen.
Noch scheint die Sonne über dem Puschkinplatz auf hohes Gras. Eine Motorsäge jault, dröhnend reiht sich Auto an Auto auf der Leipziger Straße. Elisa Winkler blinzelt in die Sonne. In gut einem Monat werden auf der gemähten Brachfläche neben dem Puschkinplatz – abgeschirmt von der „Erwachsenenwelt“ – Zelte stehen: eines für die Kinderküche, eines zum Verarzten, eines für die Holzwerkstatt, ein Mediencontainer mit Internetanschluss. „Zum Recherchieren“, erklärt die Projektleiterin.
Ein kleines Zirkuszelt mit Büchern und Lümmelwiese dient dem Rückzug und der Entspannung. In einem großen finden zweimal täglich die Ratsversammelungen statt, natürlich moderiert von Kindern. Hier wird beschlossen, diskutiert, kritisiert. Wie soll unsere Stadt gestaltet sein? Was läuft schief? „Kinder sind häufiger viel besser als Erwachsene darin, verschiedene Meinungen auszuhalten“, sagt Elisa lächelnd. Platz haben, beteiligt sein – das ist der Grundgedanke von Kitrazza.
Elisa Winkler leitet das traditionsreiche Projekt im zweiten Jahr. „Eigentlich wechselt die Kindertraumzauberstadt jährlich ihren Standort, um immer ein anderes Publikum zu erreichen“, sagt sie. „Wir sind jetzt aber wieder hier, weil sich im Stadtgebiet einfach kaum noch geeignete Freiflächen finden.“ Die temporäre Stadt, die an die 200 Kinder in zwei Wochen errichten, braucht eigentlich nicht viel: Bäume als Schattenspender, einen Trinkwasserzugang, einen Stromkasten, Stadtlage. „Das wird immer utopischer.“ Dabei brauche es genau solche Plätze. Die Orte für Kinder sind ohnehin limitiert, auf Spielplätze eingedampft. Aber, viele von solchen Kinderorten sind nun einmal nach den Vorstellungen von Erwachsenen gebaut.
Kinder an die Macht!
Bei Kitrazza bauen die Kinder selbst, unterstützt von freiwillig helfenden Erwachsenen. Die sogenannten Kimas (Kinderstadtmitarbeitenden) werden im Vorfeld in Workshops geschult. Es gehe nicht darum, die Kinder anzuleiten oder ihnen Pläne vorzugeben, erklärt Elisa. Sie halten sich im Hintergrund, sind aber da, wenn sie benötigt werden. „Im Grunde üben wir mit den Kindern hier Demokratie“, sagt Elisa. „Es gibt viele solcher Projekte in Deutschland, aber unseres ist meines Wissens nach das einzige, das so frei abläuft.“
Kitrazza sei kein Ort, wo Kinder erwachsene Strukturen kopieren, sondern wo sie eine Stadt ganz nach ihren Vorstellungen erschaffen können. Zur Inspiration gibt es im Vorfeld Stadtrundfahrten mit der Kinderstraßenbahn „Lottchen“. Hier können die Kinder die Augen offen halten: Was gibt es eigentlich in einer Stadt? Was wollen wir auch dabei haben, was nicht?
Kinder unter sich – das klingt in vielen Ohren alarmierend. Was da alles passieren kann! „Tatsächlich ist noch nie etwas Schlimmes passiert“, berichtet Elisa. Im Sanitätszelt werde hin und wieder ein eingezogener Splitter behandelt. Ansonsten übten die Kinder hier Verband anlegen und verarzten. Der Ausschluss von Erwachsenen mache erst deutlich, wie klug und sicher Kinder ihre Welt wahrnehmen und gestalten. „Und sie stellen immer die richtigen Fragen. Sie erkennen Ungereimtheiten, in denen wir als Erwachsene uns ganz selbstverständlich eingerichtet haben.“ Einen Ort zu haben, an denen die eigenen Regeln gelten und an dem auch diese immer wieder neu ausgehandelt werden, sei etwas sehr besonderes und freies.
Von Kindern für Kinder
„Erwachsene wollen häufig eine Lösung finden“, sagt Elisa. „Kinder denken freier und sind unglaublich neugierig.“ Im Rahmen von Kitrazza falle ihr immer wieder auf, wie gut die kleinen Menschen einschätzen, was sie sich zutrauen können. Auf dem Gelände entstehen dann zum Beispiel Kioske ohne Geld, eine Post, mehrstöckige Buden, eine Feuerwache. Manche schrauben und sägen, andere mögen es lieber im Kreativzelt zu verzieren. Wieder andere lesen, bummeln, beobachten. „Es gibt keine Anweisungen. Alles ist komplett frei gedacht“, sagt Elisa. „Eigentlich ist das ganze ein großes Festival von Kindern für Kinder.“ Am Mittag gibt es ein gemeinsames Essen, dazwischen Getränke und Obst, ansonsten keine Termine.
Obwohl der Zauber auch im zeitlich Begrenzten von Kitrazza liege, fühle es sich doch seltsam an, die Kinderstadt nach zwei Wochen zu verabschieden, erzählt Elisa. „Es ist sehr schade, dass die Kinderstadt jedes Jahr wieder zurückgebaut werden muss und keine sichtbaren Spuren davon zurückbleiben. Denn seit 20 Jahren gibt es die Kinderstadt jeden Sommer, ist Teil des Stadtgeschehens im Sommer und es wäre auch für andere Kinder schön zu sehen, was da passiert.“ Stattdessen löst sich die Kitrazza in Luft auf – alles unter den Händen zahlloser Ehrenamtlicher. Ohne die, sagt Elisa, wäre das Ganze nicht möglich. „Wir suchen immer Leute für die Betreuung, für die Nachtwache und für den Auf- und Abbau.“ Letzteres werde mit Holz belohnt: Alle Überreste von Kitrazza werden an Freiwillige verschenkt. Die Palletten für den Stadtbau, auch die Schrauben und Nägel, kommen als Spende von Firmen und Privatleuten.
Ebenso bunt wie die Kinderschar von der ersten bis zur vierten Klasse seien die Betreunden, sagt Elisa. Hier kommen Studis, Schülerinnen und Schüler, Menschen verschiedenster Coleur zwischen 15 und 50 Jahren zusammen, um diesen Ort Wirklichkeit werden zu lassen. Das sei für sie auch das Schönste, sagt Elisa nach einer kurzen Denkpause. „Was für ein buntes Konglomerat hier zusammen kommt.“ Die Anmeldungen laufen!
Kitrazza KinderTraumZauberStadt 2023
Leipziger Straße 12, auf dem Gelände des Club Puschkin
Vom 10. Juli bis 21. Juli
Abbau am 22. Juli
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