Sächsische Dorfzeitung empfiehlt Wohnen am Wilden Mann

Berta und Alfred Krüger standen an diesem Sommertag des Jahres 1908 an der Ecke Platanenstraße / Großenhainer Straße und begutachteten das linke Haus an der Einfahrt zur Platanenstraße. Diese erst vor einigen Jahren fertiggestellte Villa hatte es den beiden angetan. Alfred war seit drei Monaten Pensionär und ehemals Beamter des Königlich Sächsischen Finanzministeriums. Ihre drei Kinder sind unter der Haube und aus dem Haus und beide zog es nun raus aus der lärmenden Großstadt in eine ruhigere Gegend, die dennoch einen guten Anschluss an die Annehmlichkeiten der Residenz hatte.

Unlängst lasen sie in einer älteren Ausgabe der Sächsischen Dorfzeitung, die sie beim Aufräumen gefunden hatten, von den Bauvorhaben an der nördlichen Grenze von Trachau am Wilden Mann und dass diese Wohnungen sehr begehrt sein sollen. Was nicht verwunderte, „wenn man bedenkt, dass das Villenviertel eine von der Natur wirklich bevorzugte Lage genießt, mitten in schönen Gärten, Bergen und in unmittelbarer Nähe des Waldes.“ So stand es in der Zeitung.

Die Ausgabe der Sächsischen Dorfzeitung vom 16. Oktober 1902. Quelle: Archiv

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Der Blick der Krügers haftet auf dem großen hölzernen Balkon in der ersten Etage. Die dazugehörige Wohnung schien nicht belegt zu sein. Berta hatte Kaffeedurst und so ging es ins Café Engelstädtler im Erdgeschoss. Nachdem sie sich mit Eierschecke und dem obligatorischen Schälchen Heeßen gestärkt hatten, fragten sie die Bedienung nach dem Eigentümer dieses Hauses. Das war Bäckermeister Richard Maiwald, dem auch das Café samt Bäckerladen gehörte. Er kam sogleich zu den Krügers an den Tisch.

Die Vorzüge der neuen Villen

Sein Blick musterte dieses Pärchen und roch förmlich deren Solvenz. Als er erfuhr, dass es sich bei dem Ehepaar Lorenz um gut betuchtem Mittelstand und Beamtenpensionäre handelte, war er höchst zufrieden. Solche Bewohner mochte er. Sie zahlten regelmäßig die Miete, machten weder Krach noch Dreck und bekamen keine Kinder mehr. Und so schlug er gleich eine Besichtigung in der gewünschten Wohnung vor.

Die Platanenstraße 1, Ecke Großenhainer Straße auf einer Postkarte von 1908. Quelle: Archiv

Von deren Vorzügen hatten die beiden Dresdner in der Sächsischen Dorfzeitung gelesen. So soll es Gasglühlampenbeleuchtung und eine Hochdruckwasserleitung in der Wohnung geben. „Die neuen Villen sind auch sämtlich mit Badeeinrichtungen und Wasserklosettanlagen versehen worden.“ Davon konnten sie sich nun selbst überzeugen. Als sie auf den Balkon traten, fuhr gerade eine elektrische Straßenbahn in Richtung Dresden. „Hier haben Sie einen direkten Anschluss zum Postplatz für nur 10 Pfennige“, erklärte Bäckermeister Maiwald.

Am Wilden Mann

„Übrigens bilden hier die Großenhainer und weiter oben die Döbelner die Grenze zwischen Trachau und Trachenberge. Wir befinden uns hier gewissermaßen im Grenzland, natürlich ohne Zoll und Schlagbaum“, schmunzelte Maiwald. „Diese Grenze spielt aber keine Rolle mehr, nachdem wir 1897 von der Residenz geschluckt wurden. An der Ecke zur Döbelner Straße befindet sich der berühmte Gasthof zum Wilden Mann mit seinem rührigen Besitzer Gustav Emil Weber und an der Großenhainer bergauf steht die Bergziege.“ Berta Lorenz zog die Augenbrauen fragend hoch.

„So bezeichnet das durstige Völkchen von hier unten die Bergwirtschaft, weil man wie eine Bergziege die steile Straße hochklettern musste und oben angekommen, Durst wie eine Bergziege hatte. Das war wohl sicher von einem Suffkopp erfunden worden, der auf ein Gratisbier aus war. Für die Vornehmeren aus der Residenz war die Bergwirtschaft der Balkon der Neustadt, weil man so eine schöne Aussicht auf das Elbtal habe. Obwohl ‚Neustadt‘ natürlich nicht stimmt. Aber geschenkt. So sind sie halt, die Auswärtigen. Meinen sich in der Welt auszukennen und haben trotzdem keine Ahnung von dem, was vor der Haustür liegt.“

Hinauf zur Bergwirtschaft kraxeln, darauf hatten Berta und Alfred Krüger heute keine Lust. Mit einem Dank an die Führung des Bäckermeisters und für die reichlichen Informationen sowie mit dem Versprechen, zwecks Mietvertrag bald wieder zu kommen, verabschiedeten sie sich und machten sich auf den Heimweg, zunächst zur Haltestelle der Straßenbahn.

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4 Meinungen zu “Sächsische Dorfzeitung empfiehlt Wohnen am Wilden Mann

  1. Jürgen Naumann sagt:

    Also wenn mich nicht alles täuscht, stammt der Begriff „Bergziege“ aus später Zeit. Er soll wohl im Zusammenhang mit dem bis Anfang der 1990er Jahre existierenden Jugenclub entstanden sein. Oder hat der Autor eine verwertbare Quelle?

    • Gunther Hanisch sagt:

      Die Frage, Herr Naumann, lautet: Haben Sie für Ihre Äußerung eine „verwertbare“ Quelle?

      Die Geschichte liest sich schön und die Beschreibung, warum die Bergwirtschaft schon vor Ihrem Dasein als „Bergziege“ bezeichnet wurde ist schlüssig.

      Umganssprachlich sprachen wir Jugendlichen der 1980er Jahre auch nicht von der „Bergziege“, sondern etwas sächsisch von der „Bergzigge“.

  2. Peter sagt:

    Ich fahre seit 1975 Auto und habe in dieser Zeit häufig an der Tankstelle, an der sich heute
    das Eiscafe befindet, getankt, da war nur von der Bergwirtschaft die Rede und der Begriff
    „Bergziege“ ist erst mit der Eröffnung eines Imbisstandes an der Stelle, des heutigen Eiscafes entstanden

    • Gunther Hanisch sagt:

      Ja, das ist kommt hin. Für uns war der Name mehr ein Begriff für die Disco in der Bergwirtschaft, besonders für die im Gartenlokal.

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