Die Grünen im Stadtrat stellen nicht mehr die stärkste Fraktion. Mit Johannes Lichdi und Michael Schmelich haben heute zwei prominente Grüne die Stadtrats-Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verlassen. Die Fraktion schrumpft damit von 15 auf 13 Mitglieder. Stärkste Fraktion im Stadtrat ist nun die CDU mit 14 Mitgliedern. Möglich ist nun die Bildung einer neuen Fraktion aus den vier fraktionslosen Stadträten. Die Gründung der neuen Fraktion soll, so erklärte einer der künftigen Fraktionäre, am Dienstag offiziell bekannt gegeben werden.
„Seit vielen Jahren versuchen maßgebliche Kräfte in Partei und Fraktion, meine politischen Handlungsmöglichkeiten abzuschnüren, ja letztlich auszuschalten. Dies ist ihr demokratisches Recht, mein Recht ist es aber auch, daraus nun die Konsequenzen zu ziehen“, schreibt Johannes Lichdi in einer persönlichen Erklärung. Auch Michael Schmelich spricht von Ausgrenzung, die „wirkungsvolle Zirkel innerhalb der Fraktion vorantreiben“.
Ein Ausdruck der unterschiedlichen Ansichten zwischen Lichdi und der Fraktion war das Vorgehen bei der Abstimmung zum Sachsenbad am vergangenen Mittwoch. Hier hatte Lichdi mit einem eigenen Antrag zwar den Verkauf des Sachsenbades verhindern wollen, einen Schwimmbad-Neubau an der Wurzener Straße oder in der Nähe jedoch abgelehnt. Obwohl seine Partei ihn 2014 als auch 2019 nur auf Listenplätze gewählt habe, die voraussichtlich nicht zur Wahl in den Stadtrat ausgereicht hätten, sei er „von den Wählerinnen und Wählern mit sehr guten Ergebnissen in den Stadtrat gewählt worden“, heißt es weiter. Lichdi kandidierte in der Dresdner Neustadt.
Er wirft „maßgeblichen Kräften in Partei und Fraktion“ üble Nachrede vor und Ignoranz seiner „ausführlichen schriftlichen Diskussionsvorlagen zur inhaltlichen und politischen Strategie“. So habe die Fraktionsführung die Handlungseinheit Mitte-Links zerfallen lassen und „keine Antwort auf die Richtungsentscheidung der führenden Männer der Linksfraktion gefunden, in strategische Opposition zu den Grünen zu gehen und dafür die Zusammenarbeit mit dem nach rechts tendierenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion zu suchen“, kritisiert er.
Lichdi hebt in seiner Erklärung auch die wichtige Rolle von Schmelich als finanzpolitischem Sprecher der Fraktion beim Zustandekommen eines fraktionsübergreifenden gemeinsamen Doppelhaushaltes 2021/22 hervor. Schmelich selbst ist zur Zeit krank. Im März 2021 hatte sich die Grünen-Fraktion gegen die Entsendung von Lichdi in den Aufsichtsrat der neu gebildeten SachsenEnergie ausgesprochen. Hier sei es nicht um Kompetenz, sondern um das „gezielte politische Ausschalten meiner Person“, gegangen, wirft Lichdi seinen Fraktionskollegen vor.
Für Schmelich sind die Gründe für den Austritt aus der Fraktion „vielfältig und vor allem von der Erkenntnis geprägt, dass seit geraumer Zeit angemahnte Veränderungen in der politischen Priorisierung und strategischen Ausrichtung der Fraktion wirkungslos verhallt sind und stattdessen Verhaltens- und Identitätsfragen mehr und mehr ins Zentrum der Fraktionsarbeit rücken.“ Zwei Jahre nach der Kommunalwahl komme die Fraktion in unzureichender Weise weder ihrem Wählerauftrag noch ihrer Rolle als stärkste Fraktion im Stadtrat nach, schreibt Schmelich. Beide betonten, dass die Partei Bündnis90/Die Grünen weiterhin ihre politische Heimat bleiben werde.
„Johannes Lichdi hat als Grünes Urgestein die Politik der Fraktion über viele Jahre und in mehreren Wahlperioden wesentlich mitgestaltet und sie im Stadtrat und in der Öffentlichkeit engagiert vertreten“, reagierte der Vorstand der Grünen-Fraktion im Stadtrat in einer Erklärung auf die Austritte. Lichdi habe „entscheidende Beiträge zu unserer Umwelt- und Verkehrspolitik geleistet und war einer der Wegbereiter für mehr Bürgerbeteiligung in Dresden. Dafür bleiben wir ihm auch im Angesicht seiner jetzigen Entscheidung sehr dankbar“. Die Kritik von Lichdi an der strategischen Ausrichtung und dem konkreten Handeln der Fraktion im Stadtrat weist der Vorstand dagegen zurück. „Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse machen oft Kompromisse notwendig, um überhaupt Grüne Ziele schrittweise voranzubringen“, heißt es weiter in der Erklärung.
Mit Martin Schulte-Wissermann (Piraten) und Maximilian Aschenbach (Die Partei) sind bereits seit der Konstituierung des Stadtrates zwei Stadträte fraktionslos. Mit Lichdi und Schmelich sind es nun vier. Um eine Fraktion bilden zu können, sind mindestens vier Stadträte erforderlich.
„Die Politik im Stadtrat wird damit nicht einfacher“, kommentierte Pieschens CDU-Stadtrat Veit Böhm den Vorgang. Die vier fraktionslosen Stadträte würde sehr unterschiedliche politische Meinungen vertreten. Das, so Böhm, würde sie als Fraktion eher unberechenbarer machen. Für Stefan Engel, SPD-Stadtrat aus Pieschen, sind die beiden Grünen-Stadträte „unumstrittene Fachleute“. Mit beiden habe er schon in der Vergangenheit „vertrauensvoll zusammengearbeitet“. „Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern“, betonte er und fügte hinzu. „Die Idee einer möglichen neuen Stadtratsfraktion werden wir als SPD natürlich wohlwollend prüfen“.
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