Oma Heidi mit ihren beiden "Patenkindern" Bashdar (l.) und Zana. Seit mehreren Jahren kümmert sich die Dresdner Rentnerin um die beiden Geflüchteten.

Heidi Franzke und ihre Patenkinder oder wie man Vorurteile abbaut

Punkt 18.30 klingelt es bei Heidi Franzke. Eilig springt die 74-Jährige vom Sessel in ihrem Wohnzimmer auf und geht zur Tür. Die weiten Hosenbeine ihrer pinken Leinenhose bewegen sich dabei hin und her. Es sind Zana und Bashdar, zwei von Heidi Franzkes geflüchteten „Patenkindern“ aus Syrien und dem Irak. Zana kommt gerade von der Arbeit. Vor kurzem hat er eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker angefangen. Während er sich geschafft auf’s Sofa fallen lässt, führt Bashdars erster Gang zu Heidis Ladekabel. Sein Handyakku ist leer. Aus Heidis Küche riecht es nach frisch gekochtem Essen und vor allem nach gedünsteten Zwiebeln. „Heute gibt es Zucchini mit Bandnudeln, Hähnchenfleisch und Salat“, verkündet Heidi Franzke als sie den Topfdeckel hochhebt. Mindestens einmal die Woche besuchen Zana und Bashdar ihre „Oma Heidi“, seitdem diese die Patenschaft für die beiden 24-Jährigen übernommen hat.

Erste Patenschaft noch vor der großen Flüchtlingswelle

Wie so vieles begann alles an einem Montag. Im Oktober 2014. Heidi Franzke war mit einer Freundin in der Altstadt unterwegs und plötzlich sah sie eine Meute „Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Ihre Meinung dazu hatte Heidi Franzke sich schnell gemacht. Doch die Gegendemonstranten waren den Pegida-Anhängern zahlenmäßig immer unterlegen. „Es bringt nichts, da immer um eine Zahl zu kämpfen“, sagt sie rückblickend. Also entschied die gebürtige Dresdnerin sich für eine andere Form des Gegenprotests und begann, sich aktiv für Geflüchtete zu engagieren.

Ihr erster Gang führte Heidi Franzke zur Pieschener Jugendsozialarbeit. Sie erkundigte sich, ob es geflüchete Familien gebe, die Unterstützung gebrauchen können. Und so entstand im Januar 2015 die erste Patenschaft für eine Familie aus dem Libanon, noch vor der großen Flüchtlingswelle. „So hatte ich gleich ein bisschen Vorübung, bis Übigau mich dann ganz forderte“, erzählt die 74-Jährige. Sie spricht von der Asylunterkunft auf der Thäterstraße, in der bis April 2016 etwa 60 Geflüchtete unterkamen. Während Heidi Franzke die Ankommenden mit Kuchen willkommen heißen wollte, protestierten Anwohner lautstark gegen die Unterbringung der Hilfesuchenden. „Wir wollen unser germanisches Übigau!“ war nur eine der vielen Parolen, die Heidi Franzke aus den Reihen hörte.

ABC-Tafeln in der Turnhalle Thäterstraße

Trotz des Widerstands ließ Heidi Franzke sich nicht beirren. Tag für Tag ging sie in die Unterkunft auf der Thäterstraße und versuchte, mit den Bewohnern in Kontakt zu kommen. Mit ABC-Tafeln „dekorierte“ sie die Räume der Turnhalle, um den Menschen die deutsche Sprache näher zu bringen. So wollte die Rentnerin den Geflüchteten zeigen: „Wir wollen mit euch zusammenleben“. Sie entwickelte Wochenprogramme mit Konzerten und anderen Veranstaltungen für die Geflüchteten und half bei der Organisation von Sprachkursen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Bewohner Heidi Franzke mit „Oma Heidi“ begrüßten.

Heute ist Oma Heidi Patin für über 20 Geflüchtete, darunter drei Familien aus Syrien und mehrere junge Männer, die ohne Familie nach Deutschland kamen. Ihre „Patenkinder“ sind für Heidi Franzke mittlerweile wie eigene Kinder. Eines Nachts stand einer ihrer Schützlinge aufgelöst vor ihrer Wohnungstür. Mit einem Abschiebebescheid in der Hand. Für Oma Heidi kein Grund zur Kapitulation. Stattdessen machte sie sich auf den Weg und suchte nach Kirchenasyl für ihr Patenkind. Und sie wurde fündig, bei der Johanneskirche auf der Reichenbachstraße in der Südvorstadt. Auch wenn Heidi Franzke selber weder betet noch in die Kirche geht, ist es dennoch die christliche Nächstenliebe, die sie bei ihrem Engagement antreibt.

Mit dem Rettungswagen auf dem Weg nach Kobane

Diese motivierte Oma Heidi sogar soweit, mit anderen Akteuren einer Spendeninitiative einen Rettungswagen für die syrische Stadt Kobane von Dresden bis an die türkisch-syrische Grenze zu fahren. Dass dies am Ende nicht wie geplant klappte, hielt sie jedoch nicht davon ab, weiterzumachen. Seit Pegida hätte sie keinen Augenblick Langeweile gehabt, erzählt die Rentnerin. Ihr Einsatz für Geflüchtete sei zu einem Fulltime-Job geworden.

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September in Dresden: Verena Schneider, Anja Osiander und Heidi Franzke (v.l.n.r.) und Fettah Cetin beim Packen und Etilkettieren der Spenden. Foto: Dana Ritzmann

Oma Heidi unterstützt ihre Patenkinder bei Behördengängen, bei der Suche eines Kitaplatzes, organisiert die Teilnahme bei Sportkursen, klärt Probleme in der Schule oder Konflikte mit Nachbarn. Für ihr ehrenamtliches Engagement bekommt sie vom Staat 220 Euro „Aufwandsentschädigung“ pro Halbjahr. Die an der enormen Leistung gemessen geringe Summe kann Oma Heidi verschmerzen. Sie habe eine gute Rente, da sei ihr das egal. Zudem halte die Arbeit sie geistig und körperlich rege und sozial eingebunden.

Miteinander sprechen und Vorurteile abbauen

Für ihr Engagement erntet Heidi Franzke nicht nur Dankbarkeit. Schon mehrmals bekam sie mit, wie hinter ihrem Rücken lautstark gelästert wurde, wenn sie mit einem ihrer Patenkinder unterwegs war. Der Gegenwind in Dresden gegenüber Geflüchteten ist der ehemaligen Grundschullehrerin bewusst. Für sie gibt es da nur eine Möglichkeit, und zwar die der Kommunikation. „Ehe man jemanden kennenlernt, sollte man nicht urteilen“, findet die 74-Jährige und fügt hinzu: „Ich sage immer: „Begegnung! Miteinander sprechen! Nur so kann man Vorurteile abbauen. Und wer sich da von vornherein rausnimmt, der ist schwer zu erreichen“.

Wie jede Oma hat auch Oma Heidi Fotos von ihren Kindern und Enkelkindern im Wohnzimmerregal stehen. Und wie selbstverständlich stehen auch Fotos von ihren geflüchteten „Patenkindern“ vor den Büchern. „Hier habe ich meine Männerauswahl“, sagt Heidi Franzke mit einem Lachen und zeigt auf eine Reihe kleiner Fotos junger, dunkelhaariger Männer, darunter auch Zana und Bashdar. Bisher sind noch alle Patenkinder von Oma Heidi in Dresden. Bei einigen besteht jedoch ständige Gefahr, dass der Abschiebe-Bescheid im Briefkasten liegt. Was im Falle des Falles wäre, darüber möchte Oma Heidi nicht nachdenken. Aber darum geht es heute Abend auch nicht. Heute wird gemeinsam gegessen.

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