Eine Standpauke in Sachen Städtebau hielt gestern Manuel Bäumler im Dresdner Rathaus vor etwa 50 Gästen. Der Inhaber der Professur für Städtebau an der TU Dresden richtete seine Kritik an all jene Planer, Politiker und Investoren, die den Standort Leipziger Bahnhof und die Nachbargrundstücke mit den falschen Leitbildern entwickeln wollen. „Die Transformation der Innenstädte ist eine wichtige Aufgabe der Stadtentwicklung. Ziel ist die Herstellung urbaner Quartiere“, betonte er. Das Areal am alten Leipziger Bahnhof sei eine der ganz wenigen Potenzialflächen in Dresden, auf denen das noch verwirklicht werden könne. „Ich habe das Gefühl“, sagte Bäumler, „dass die Anhänger des großflächigen Einzelhandels diesem Stadtteil keinen hohen Stellenwert beimessen“. Bäumler erläuterte, dass der Aufstellungsbeschluss für einen Globus SB-Markt gegen eine Reihe guter und wichtiger Prinzipien der Stadtplanung verstoße und führte im gleichen Atemzug gelungene Beispiele aus der ganzen Welt an, wie Industriebrachen inmitten von Städten mit großem Gewinn für die Einwohner umgestaltet werden können. Als Beispiel für das Wohnen an Bahngleisen nannte er das künftige Wohnquartier Dreibrücken im einem Gleisdreieck in Regensburg, wo bisher Südzucker eine Zuckerfabrik betrieb. Er verwies zudem auf geänderte Vorschriften in der Baunutzungsverordnung, die gerade die Entwicklung urbaner Gebiete erleichtern würde.
Mit der Fachveranstaltung „Wohnen am Leipziger Bahnhof. Chanchen und Möglichkeiten“ wollte die gleichnamige Bürgerinitiative vor allem die Zweifler am Wohnungsbau am alten Leipziger Bahnhof zum Nachdenken und Umschwenken bewegen. Grüne und SPD haben sich mehrfach gegen Globus an diesem Standort ausgesprochen. Während CDU, FDP und AfD im Stadtrat für die Ansiedlung von Globus plädieren, sind Teile der Linke-Fraktion unentschieden. Weil sie sich der Stimme enthalten hatten, fand der Aufstellungsbeschluss 2014 eine 32 zu 30 Stimmenmehrheit. Auch der Antrag, diesen Aufstellungsbeschluss wieder aufzuheben, scheiterte 2017 an Stimmenthaltungen der Linke-Stadträte.
Während von CDU, FDP und AfD kein Stadtrat in den Festsaal des Rathausen gekommen war, um sich die Argumente der Fachleute anzuhören, hatte Tilo Wirtz von der Linke-Fraktion die Bäumler-Standpauke und die Ausführungen von Architekt Jörg Möser verfolgt. Auf die Buhmann-Rolle in der anschließenden Diskussion war er wohl nicht erpicht und verließ die Runde vorzeitig. Seine Position hatte er am Montag in einem Interview mit Pieschen Aktuell erläutert.
Jörg Möser führte den Zuhörern noch einmal die Summe aller denkmalwürdigen Gebäude, Gebäudereste, Inschriften, alter Türen und anderer Dinge auf dem Gelände des Leipziger Bahnhofs vor Augen und stellte einen städtebaulichen Neunutzungsvorschlag vor. „Die Aura des Bahnhofs soll erhalten bleiben. Gewerbenutzung und neue Wohngebäude sollen behutsam eingeordnet werden“, sagte er. Seine schon zwei Jahre alten Wirtschaftlichkeitsberechnungen wiederholte er aufgrund der gestiegenen Baupreise nicht.
In der Diskussion lobten mehrere Redner das Engagement der Bürgerinitiative. Heidi Geiler, Vorsitzende des Vereins Pro Pieschen, wünschte sich eine mutige Entscheidung im Stadtrat. „Man kann ein solches Gebiet nicht so phantasielos behandeln“, sagte sie und warnte vor einer Haltung nach dem Motto „das ist doch nur Pieschen“. (Anmerkung des Autors: Viele Pieschener fühlen so, obwohl die Leipziger Vorstadt zum Ortsamt Neustadt gehört. Ursprünglich ist es das 1866 eingemeindete Neudorf, das seit 1874 den Namen Leipziger Vorstadt trägt und zum Teil zur Neustadt und zum anderen Teil zum Ortsamt Pieschen gehört. Die Pieschener jedenfalls verfolgen die Entwicklung am Leipziger Bahnhof mit großer Aufmerksamkeit. Viele von ihnen sind in der Bürgerinitiative aktiv.)
Offen ließ die Veranstaltung gestern, wie es nach einem möglichen Aus für den Globus-Markt weitergehen könnte. Auf jeden Fall, so riet Manuel Bäumler, sollte das Modell für den Stadtteil unter Beteiligung von Fachleuten entwickelt werden. Gastgeberin Judith Brombacher von Bürgerinitiative Wohnen am Leipziger Bahnhof versprach den Zuhörern: „Wir geben dieses Juwel der Stadtentwicklung nicht auf“.
2 thoughts on “Manuel Bäumler: Die Herausforderung heißt Transformation der Innenstadt”
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Trotz aller guter Ideen für dieses Gelände, sollte nicht außer acht gelassen werden, dass Globus der Besitzer eines Teiles dieser Fläche ist. Von daher ist die, in der Öffentlichkeit als zögerlich wahrgenommene Haltung von Teilen der Linken, allen voran Tilo Wirtz absolut nachvollziehbar. Politik muss immer eine Abwägung zwischen Idealismus und Sinn für die Realität sein. Eine Planung am Besitzer einer Fläche vorbei ist hier sicher nicht zielführend. Außerdem stellt sich die Frage, an welche Wohnungen mancher in der BI denkt, bezahlbarer Wohnraum dürfte an dieser Stelle durch teure Neubauten und in schicker Lage in Elbnähe schwer zu realisieren sein.
@ Michael R.: Ihrer Darlegung kann und sollte man widersprechen, denn so ist es nicht!
Weder ignoriert jemand den Eigentümer, noch sind die Alternativen idealistisch.
Insofern ist da nichts „nachvollziehbar“, und schon gar nicht „absolut“.
Kurze Begründung: Im Städtebaurecht und seinen Instrumenten spielt jedwede momentane, zeitweilige oder wechselnde Grundbuchlage keine maßgebliche Rolle. Jede Kommune hat das zugestandene Recht, ihre Entwicklungsziele vorzugeben, sonst könnten wir allerorten einpacken. Das nennt man „Planungshoheit“. Dies ist Turnus an zahlreichen Verfahren und Orten tagtäglich, bundes- und europaweit. Die Eigentumslage wird natürlich mitgedacht, schmälert aber nicht die Planungshoheit. Ein Auslassen dieser Möglichkeit ist gleich einer freiwilligen Selbstkastrierung an Instrumenten, und damit gleich einem Rückfall in chaotische Drittwelt- oder Diktaturzustände. Daß die gesamte rechte Politflanke so schändlich mit den Möglichkeiten am Standort umgeht, ist Skandal genug und war vormals auch übliche Investorenhörigkeit unter Vernachlässigung städtisch-gesellschaftlicher Zielstellungen.
Was die BI für Wohnvorstellungen hegt, ist sicher divers, aber auch nicht maßgeblich.
Die Entwicklung nach Masterplan ohne Globus ist gerade „zielführend“, Globus ist es definitiv nicht.
Im Übrigen erwachsen Globus als Eigentümer letztlich KEINE Nachteile, wenn deren Markt nicht käme. Die Fläche stieg stark an Wert und wird besonders in Teilflächen sehr profitträchtig veräußerbar sein. Bevor sie fragen: Einen gesetzlichen Anspruch auf langjährigen Gewinn durch Marktbetreibung besteht NICHT. Globus hat zahlreiche Möglichkeiten, warum bauen sie nicht zwei mittelgroße Vollsortimenter wie einen in Chemnitz? Eine Hü und einen Hott der Stadt – spart enorm Kfz-Verkehre.
Jedem Projektentwickler und jedem Investor ist stets klar, daß es keinen narrenfreien Anspruch auf Umsetzung gibt, schon gar nicht, wenn man solch eine Kröte negativster Wirkungen platzieren will. Das ist Rechtslage. Hier vertraute Globus auf die unsägliche CDU+FDP-Mehrheit von einst, welche jeden Mist durchwinkte. Globus verspekulierte sich, auch das ein völlig normaler Vorgang. Das ganze Gezeter ist überflüssig, der Stadt ist die Planungshoheit zu recht zugestanden. Es geht nicht, daß einzelne Politiker hier Harakiri spielen, und dann aber nie zur Rechenschaft gezogen werden können. Mahlzeit.