Sankt Pieschen – Dieser Name ist mir in den letzten Wochen öfter begegnet, in der Bahn und auf Plakaten im neuen Biomarkt an der Friedensstraße, dort, wo ich mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn seit einem Jahr wohne. Wir kommen nämlich nicht von hier, sondern aus Hamburg. Also eher „Sankt Pauli“ als „Sankt Pieschen“.
Kurz nach 9 Uhr, und damit eigentlich viel zu spät, machen wir uns aus der Neustadt auf den Weg nach Pieschen. Wir wollen gleich den ersten Tagespunkt erwischen und uns zum Nachbarschaftsbrunch an der Costa Concordia in der Rosa-Steinhart-Straße 9 gesellen.
Sobald wir den für uns noch weitestgehend unbekannten Stadtteil erreichen, sind jedoch erstmal alle Pläne hin und wir sind im Bann dieses charmanten Viertels. Ein bisschen ziellos überqueren wir den Konkordienplatz, lassen die Rosa-Steinhart-Straße unwissend links liegen und uns ein bisschen treiben. Pieschen scheint noch etwas verschlafen. Die Straßen sind leer, ein Mann fegt die Überbleibsel der gestrigen Party an den Straßenrand, auf der Bühne am Konkordienplatz hört man einen Schlagzeuger beim Soundcheck und die Sonne scheint uns herrlich ins Gesicht.
Ein wirklich fantastischer Morgen, denke ich mir. Hier und da bauen Menschen ihre Stände auf, vor dem „Istanbul Market“ wird der Grill angefeuert, ein Auto bringt einen Kletterturm für die Kinderspielstraße. Ich kann erahnen, was uns erwartet. Die Menschen, die schon auf den Beinen sind, trinken in Hüten und Sonnenbrillen, auf Bänken und Bordsteinkanten, ihren Kaffee, recken die Gesichter Richtung Himmel. Ein paar Schilder versprechen Kinderschminken und Zuckerwatte. Eine Gruppe von Läufern mit Startnummern auf der Brust kommt uns entgegen, der 1. Pieschen-Lauf unter dem Motto „Muskelkater statt Katerstimmung“ hat begonnen und erinnert mich daran, dass es bereits nach zehn sein muss und wir unser Frühstück vergessen haben.
Costa Concordia
Aber Zeit scheint hier und heute wohl allgemein keine große Rolle zu spielen, und als wir die Rosa-Steinhart-Straße 9 erreichen, ein rotes Mehrfamilienhaus, ist der Brunch noch in vollem Gange. Eine Reihe von geschmückten Tischen und ein vollgefülltes Buffet erwarten uns. An der Costa Concordia hat der Tag schon längst begonnen, es wird erzählt, gelacht, Kinder fahren mit ihren Fahrrädern die Straße auf und ab.
Wir schnappen uns ein Stückchen Kuchen und setzen uns dazu. „Gehört ihr alle hier zu dem Haus?“, frage ich und zeige hinter mich. „Wir kommen von der Kleingartensiedlung. Aber Peter hat hier seine Wohnung“, sagt jemand und zeigt auf einen freundlich aussehenden Mann mit Strohhut. Ich frage ihn, ob das Haus ein soziales Projekt sei. „Ja und Nein“, ist seine Antwort. Es gibt gemeinschaftliche Räume, und natürlich werden bestimmte Entscheidungen als Gemeinschaft getroffen, aber es ist auch das Erbe seiner Kinder, und wer die Tür hinter sich zumacht, hat seinen privaten Raum.
Er erzählt mir, wie sie hier als selbstorganisierte Baugemeinschaft vor vier Jahren das Grundstück gekauft haben, wie man mit zehn Parteien eine Entscheidung trifft, die allen gerecht wird, und von seiner Liebe für das Viertel. Zwischendrin gibt er noch das Rezept für einen Dattelaufstrich an eine Nachbarin weiter. Die Liebe für dieses Viertel ist nicht zu übersehen, vor allem nicht, als er mich und kurzerhand noch ein paar Umstehende einlädt, sich das Haus von innen anzusehen. Peter führt uns von Gemeinschaftsraum zu Werkstatt und Fahrradkeller. Er zeigt uns seine Wohnung und die gemeinschaftliche Dachterrasse, auf der alle Parteien zusammen ein “Urban Gardening” Projekt betreiben.
Mir wird allmählich bewusst, unter welchem Stern der heutige Tag und Sankt Pieschen für mich steht, und der heißt „Räume gestalten“.
Bürgerstraße / Ecke Oschatzer
Es geht weiter, vorbei an einem kleinen Wohnwagen vor der Konkordienstraße 3, aus dem ein junger, braungebrannter Mann Schmuck verkauft, über den Konkordienplatz, wo gerade ein ökumenischer Gottesdienst abgehalten wird, und rein in die Oschatzer Straße. Hier reiht sich der Verkauf von Softeis an westafrikanische Küche, ungarischen Langos, Kombucha-Cocktails, Burgern, Kräppelchen, indischen und arabischen Gerichten.
An der Ecke Bürgerstraße bekommt mein Sohn ein Croissant, ein gerettetes Croissant, von den „Psychologists for Future“. Das Projekt der Psychologinnen und Psychotherapeuten soll auf die Vielzahl an verschwendeten Lebensmitteln aufmerksam machen. Aprikosen, Brötchen, Pudding, Schokolade, Brokkoli – alles Dinge, die sonst im Müll gelandet wären – stehen hier der freien Mitnahme zur Verfügung.
Kurz halten wir inne an der Schall und Rauch Bühne, wo die „Kommune Woodstock“ gerade in Form von Musik und skurrilen Geschichten die 60er Jahre zurückbringt.
Torgauer Straße
Dann geht es einmal um den Block in die Torgauer Straße. An der Ecke setze ich mich eine Weile zu Conny auf die Bierbänke vor ihrem Atelier und mitten in ihrem neu gewonnenen Vorgarten. Den muss man sich ungefähr so vorstellen: Zwei Meter breit und über die gesamte Länge ihrer Fensterfront liegt Rollrasen auf den Pflastersteinen des Bürgersteigs. Rundherum steht ein etwas provisorischer Holzzaun. Und dann sind da noch jede Menge Pflanzen und Blumen, eine Gießkanne, ein Tisch mit Stühlen und ein Sonnenschirm. Ein richtiger Vorgarten eben, so wie man ihn kennt. Das Projekt „VORGARTEN24“ der Künstlerin Conny Cobra, auch bekannt als „KNARK-ART.augenschmaus“, soll an jene Vorgärten erinnern, die früher beinahe jedes Haus hier besessen hätte.
„Heute will das ja kein Vermieter mehr. Zu teuer, zu aufwändig und zu viel Verantwortung für den Mieter“, erzählt Conny. Aber das waren die Räume, die uns zur Verfügung standen, um zu bepflanzen, zu bewohnen und selbst zu gestalten. Die Idee war es, solch einen Raum zu schaffen und ihn dann mit Ende des Festes Stück für Stück, Pflanze für Pflanze ins Viertel zu tragen. Die Blumen können zum Beispiel in die Baumscheiben an den Straßenrändern gepflanzt werden, und so bleibt auch mit Ende von Sankt Pieschen ein Teil der Idee im Viertel zurück.
Hofmusik
Ein Freund von mir kommt noch vorbei. Wir holen uns ein kaltes Bier und schlendern zur Hofmusik in der Konkordienstraße 58. Ich bin schon einigermaßen voll von Eindrücken und Sonne, stelle mich etwas an den Rand. Und dann legen die „Mariachi los Svensson“ los, wie die schwedischen „Blues Brothers“. Sie erzählen zwischen klassischen Rock’n’Roll-Songs von den 50ern und ihrer Zeit im „Jailhouse“ in Tijuana. Wie viel davon wirklich stimmen mag…
Zum Schluss bleibt eigentlich nur noch ein Dank an all die Menschen, die dieses Fest möglich gemacht haben und uns unsere Straßen zu eigen machen, für ein bisschen Musik, Essen und Miteinander, und die mir heute ihre Geschichten erzählt haben.
Ein paar Eindrücke vom Sonnabend gibt es im Instagram-Kanal von Pieschen-Aktuell.
10 Kommentare zu “Sankt Pieschen: Ein Sonntagsspaziergang”
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westafrikanische küche war’s tatsächlich, aus dem senegal.
Das ist natürlich absolut richtig. Ich hab’s soeben korrigiert!
Schade, dass es dieses Jahr sehr viel weniger Essensstände gab. Die klassische Bratwurst hat man vergeblich gesucht.
Am Sonnabend gab es vor der Fleischerei, Oschatzer Ecke Bürgerstrasse noch einen Stand wo es Bratwurst, Knacker Fischsemmeln ua gab, leider war der Stand Sonntag dann nicht mehr da
Danke an ALLE fleißigen Helfer und Innen die nicht nur einen tollen Job gemacht haben sondern die Liebe zum Viertel und zu drei tollen Tagen gezeigt haben. Danke auch an die Händler aus dem Viertel die sich es getraut haben SANKT PIESCHEN durchzuführen, vernünftige Preise hatten und dafür belohnt wurden. Es war einfach ein schönes, gemütliches und friedliches Wochenende.
Der Besuch des Pieschener Stadtteilfestes 2023 hat mich sehr beeindruckt – das kunterbunte Kulturangebot, die ausgelassene, friedliche sowie fröhliche Stimmung unter den Menschen, die bunt geschmückten Straßen, die Bastelstraße für Kinder – die sich nach Herzenslust austoben und betätigen konnten sowie ein Spaziergang durch diesen schönen Stadtteil, um diesen einmal kennenzulernen – es war wunderbar und bezaubernd zugleich.
Das ist Heimat.
Habe mal 30 Jahre Torgauer Straße 54 gewohnt.
Klassentreffen am 02.10.2023
in Altwilschdorf 4
Zum Alten Grafen 17:00.
50 Jahre aus der Schule.
Bin der Konrad 8.Oberschule 26.Oberschule.
Habe nach der Jugendweihe ein Gibscorsett mit Kopfstütze getragen.
Meldet Euch bei mir oder der Rosi.
1964 —1974
Für mein Kind und mich war es wunderschön, aber viel zu viele Fressbuden die zudem nahezu noch alle das selbe anbieten..
Schade, dass der Hackwaffel-Stand keine Erwähnung findet…
Erstmal danke für diese netten Worte zu dem Stadtfest!
Auch ich möchte mich als Anwohner bei allen bedanken, die eines der besten Dresdner Stadtteilfeste nach der Coronapause wieder möglich gemacht haben. Zudem perfektes Wetter, was will man mehr.
Sehr positiv ist mir wieder die Vielfalt und Menge an Musik aufgefallen. Bei früheren Festen gab es meiner Erinnerung nach noch eine Heavy-Metal Bühne am Anfang der Oschatzer Straße, die gab es dieses Jahr nicht. Unser persönliches Highlight war hier der Freitag Abend, da war die Stimmung (gefühlt) am höchsten und die Party von Atacama ließ selbst unsere Kleinen bis Mitternacht durchhüpfen.
Ich kann nur nochmal die Vielfalt der Musik loben, da war bestimmt für die Allermeisten etwas dabei. Gerne nächstes Jahr wieder so.
Danke auch an die Truppe vom Stoffwechsel, DVB und Pfadfinder etc.: Die Spielstraße mit seinen Angeboten ist jedes Jahr ein Highlight für die Jüngsten!
Zum Thema Stände: ja auch hier gab es früher mehr, sowohl was Essen angeht (das philipinische (?) Essen war auch sehr lecker!) als auch sonstige Kleinigkeiten. Aber nach dem Erfolg in diesem Jahr, lockt es vielleicht wieder mehr beim nächsten Mal an. Die Preise für’s Essen mpfand ich von angemessen bis teils leicht übertrieben, aber hier spielen zu viele Faktoren einen Einfluss als das ich das bewerten möchte.
Besonders gefreut hat mich, dass der ansonsten halbtote Sonntag dieses Mal sehr belebt war. Das zeigt doch deutlich, dass die Leute solche Feste vermissen und genießen möchten.
Daher ja, das Fest war wohl etwas kleiner wie sonst, dafür waren gefühlt mehr Besucher unterwegs und es war eine tolle Feierstimmung. Wir freuen uns auf nächstes Jahr!
Einen Wermutstropfen und eine Bitte an die Organisatoren (soweit sie hier lesen) habe ich dennoch:
Könnt ihr bitte auch hinter die Bühne am Rausch wenigstens ein paar Baustellen-WCs aufstellen? Platz wäre ja auf dem gesperrten Parkfeld hinter der Bühne gewesen. Oder ein Hinweisschild doch bitte die Toiletten im Rausch zu benutzen.
Jedes Jahr gehen die Besucher an der Ecke auf die Privatgrundstücke und Hofeinfahrten der dortigen Häuser und pinkeln den Leuten in den Garten und an die Wände. Und das nicht nur ein paar wenige sondern da herrscht ab spätem Nachmittag reger Pinkelbetrieb bis zum nächtlichen Ende der Veranstaltung. Wenn man sie anspricht heißt es dann „Wohin soll ich sonst gehen, ich muss dringend“.
Generell hatten da auch einige ein falsches Verständnis von „Privatgrundstück“. (erlebte Szene: Anwohner: „Hallo, hier kann man nicht durchlaufen, hier ist Privatgrundstück“. Besucher: „Privat ist mir ja egal, ich will nur mal schauen wie es hier aussieht“ (Er ist dann immerhin wieder gegangen))