Anja Plechinger ermutigt Menschen, die einen Verlust erlitten haben, zur Trauer. Sie nennt sich Traueraktivistin und plädiert dafür, allen Gefühlen ihren Raum zu geben – auch den schweren.
Es war dieser Moment, als Anja Plechinger die Hand ihres sterbenden Mannes hielt und auf dem anderen Arm das gemeinsame Kind, das gestillt werden wollte, da blitzte eine Erkenntnis in ihr auf: Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Der schmerzliche Verlust ihres Partners bedeutete eine entscheidende Zäsur in Anjas Leben. Diese annehmen und verwandeln konnte sie erst, nachdem sie den Mut zu ihrem ganz persönlichen Weg der Trauer aufgebracht hatte. Heute geht sie ihn mit anderen – als Gründerin von „Trostkunst“.
„Ich hatte überhaupt gar keine Erfahrung damit. Die Erkrankung und das Sterben meines Mannes war mein erster Kontakt mit dem Tod“, reflektiert Anja Plechinger heute. Nach dem Einschnitt sei sie natürlich furchtbar traurig gewesen, aber sie habe straff weitergemacht mit ihrem Job. Natürlich auch, um sich und das Kind durchzubringen. Sie arbeitete in PR und Marketing, voller Einsatz. Dann machte sich ihr Körper bemerkbar. „Irgendwann war mir nur noch schwindelig“, erzählt sie. „Ich war aus dem Gleichgewicht. Besser hätte es mir mein Körper nicht beibringen können.“ Sie machte eine Vollbremsung, kündigte – und nahm sich Zeit zu trauern. Der Beginn einer Reise.
Trauer, weiß Anja, ist nicht nur für Betroffene eine Herausforderung, sondern auch für das gesamte Umfeld. „Trauer wirft uns komplett auf uns selbst zurück“, sagt sie. „Darauf kann sich niemand vorbereiten. Das ist so groß, so mächtig – und wir alle haben nicht gelernt, mit diesen schweren Gefühlen umzugehen.“ Verzweiflung und Schmerz nach außen zu tragen, davon seien die meisten überfordert. Auch, weil uns das mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, vermutet Anja.
Bloß nicht weinen, nicht traurig sein – das ist etwas, das schon kleine Kinder signalisiert bekommen, beobachtet sie. Schnell soll nach einem Sturz alles wieder gut sein, werden die Tränen weggewischt, wird abgelenkt. „Ich achte darauf auch im Umgang mit meinen Kindern“, sagt Anja. Sie sollen erfahren, dass es okay ist, einfach mal traurig zu sein und dem freien Lauf zu lassen. Beruflich begleitet sie mittlerweile Menschen, die ähnlich schwere Verluste erlitten haben wie sie: trauernde Partnerinnen und Partner, Angehörige, Eltern. Mit ihnen nähert sie sich dem großen Tabu, dem Tod.
Seit Corona tut sie das verstärkt mit Online-Sitzungen überall in Deutschland und in den deutschsprachigen Raum hinaus. Sie hält überdies Vorträge vor Fachpersonal und widmet sich der Bestückung des Online-Shops von Trostkunst. „Besonders Weihnachten ist nach einem Verlust eine herausfordernde Zeit“, sagt Anja. „Es ist wichtig, herauszufinden, wen oder was oder es für mich braucht, um diese Tage irgendwie überstehen zu können.“ Eine Gratwanderung, die eine einfühlsame Unterstützung erleichtern kann.
Engagiert ist Anja Plechinger im Netzwerk Bohana, das neue Möglichkeiten der Trauerkultur aufzeigt und mitgestaltet „Es ändert sich da gerade viel“, teilt Anja ihre Erfahrungen. Leblose und starre Formate schwinden zugunsten von individuellen Ritualen, die Raum für Trauer geben, aber nicht vergessen, das Leben zu feiern.
Ihr habe damals das Schreiben geholfen, berichtet Anja. „Heilsames Schreiben“ ist deshalb auch eine Methode, die sie mit Klientinnen und Klienten anwendet. „Ich hatte so Angst davor, meinen Mann zu vergessen. Besonders die kleinen Details. Deshalb habe ich ein Erinnerungsbuch geschrieben.“ Das diente dann als Vorlage für „Die kleinen Dinge“, mit dem Trauernde selbst ihre Gedanken an eine geliebte Person festhalten können. In ihren Begleitungen und Workshops möchte sie Betroffene zur Trauer ermutigen. Denn das sei es letztlich, was dieser Prozess erfordere: Mut, diese Gefühle zu durchleben, denn „auch die gehören zum Leben dazu.“ Ganz weg wird die Trauer nie sein, sagt Anja: „Aber ich weiß mit ihr zu leben.“
Anja Plechinger
trostkunst.de
info@trostkunst.de
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