Tilo Kießling war gerade 19 als die DDR starb. Er konnte sich damals zu keiner Partei bekennen. Vielleicht beobachtete er geneigt, dass die SED gerade dort aufklärerisch arbeitete, wo andere Parteien schwiegen, nivellierten oder gar zu verstuschen versuchten. Aber daraus konnte er sich wahrlich kein Bekenntnis abringen. Er blieb auch die folgenden Jahre parteilos.
Der junge Mann hatte erstmal eigene Ideen und eine davon setzte er 1993 um. Sie bestand darin, einen Raum zu erschaffen, in dem man sich begegnen und austauschen konnte. Eine Freistätte, in der Lust am Denken und gemeinsame Arbeit an konkreten Sachverhalten zusammenfielen. „Jugendgruppe ‚Roter Baum’“ wurde gegründet. Man traf sich donnerstags um 17 Uhr.
U wie Ursprung: Der Roter Baum als knallgelbe Zeitschrift
Aus den gemeinsamen Treffen und Gesprächen der Jugendgruppe entwickelten sich eigenständige Arbeiten. Darunter Artikel, ironische Dichtungen, Anekdoten. Aber auch Bilder, Zeichnungen und Collagen. Die Jugendgruppe kuratierte daraus regelrecht eine Zeitschrift mit dem Titel „U“, damals für eine Mark erhältlich. Die Zeitschrift für Bildung und Bilder, für Sprache und Musik ist dabei selbst das eigentliche Kunststück. Auf dem Deckblatt der fünften und knallgelben Oktoberausgabe von 1994 steht fett das Logo und nur weniger kleiner ein Peace-Zeichen. Auf der ersten Seite ist zu lesen: „Hallo Freunde, da sind wir wieder […] wir feiern unseren 1. Geburtstag“.
Auch Kießling hatte einen Text in der Ausgabe. Darin schildert er einen Traum, in dem eine junge Frau fragt, ob Ausländerfeindlichkeit „einfach bekämpft oder erst verstanden und dann bekämpft werden sollte“. Er reagierte erst nach einer Pause: „Mein Kopf mag Ausländer, aber mein Bauch hat Angst vor ihnen. Aber mein Kopf ist stärker als mein Bauch.“ Den Traumbericht schließt Tilo stellvertretend für alle Beiträge der Zeitschrift – forschungsoptimistisch: „Darauf hofft Tilo“.
Vermittlung und Verständnis
Heute ist Tilo Kießling Stadtrat der Partei Die Linke und unterscheidet scharf zwischen Politik und dem Verein Roter Baum: „Die Existenz des Roten Baumes hat nichts mit der Partei zu tun. Es gab nie Geld von der Partei und es besteht keine organisatorische Abhängigkeit.“ Außer eben, dass er als Politiker für dieselben Werte streitet, die er als Gründer und zehn Jahre lang (1993-2003) als Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins gepflegt hat.
Als Stadtrat setzt er sich unter anderem dafür ein, dass die geplante Rutsche an der 19. Grundschule am Jägerpark mit Beteiligung der Kinder ausgesucht und finanziert wird. Denn so etabliere man gemeinsame Verantwortung für die Rutsche: „Wenn es eine neue Rutsche gibt, dann muss es die Rutsche von allen sein.“ Als Betreuer setzte er sich einmal zu einem besonders rebellischen Jungen und spielte ohne Ankündigung „Mama sag mir warum?“ von Keimzeit vor. Innerhalb der vier Minuten, die die beiden schweigend das Lied hörten, entspannte sich der Junge und kam im Ferienlager endlich an.
Ein reales Kunstwerk: Der Rote Baum stellt sich vor
„Nicht alle Kinder und Jugendlichen verfügen gleichermaßen über die entsprechenden Voraussetzungen zur Nutzung aller ihnen theoretisch offen stehenden Angebote und sind somit im persönlichen Umgang mit Freiheit und Selbstverantwortung beeinträchtigt. Deshalb ist es Ziel der Bildungsarbeit unseres Verbandes, diesen Ungleichheiten durch nonformale Bildungsangebote entgegenzuwirken.“ Das schreibt der Rote Baum unter dem Stichwort „Bildungsbegriff“ zu seinen Wertevorstellungen. Und konkret daran gearbeitet wird eben auch in Ferienlagern.
Der Rote Baum und die Ferienlager
90 Prozent der Kinder in der DDR sind in Ferienlager gefahren. Das konnten kleine Ferienlager sein, die ein Betrieb ins Leben gerufen hatte und 50 bis 60 Kindern einen Platz anbot. Das konnten größere Ferienlager sein, wie beispielsweise die „Schneckenmühle“ oberhalb von Pirna, die bis heute jeden Sommer mehrere hundert Kinder aus Berlin und Sachsen beherbergt. Und oft waren die heutigen Betreuer früher selbst als Kinder in diesen Ferienlagern. Speziell, wenn es objektgebundene Ferienlager sind. Die gibt es noch, „weil damals jemand gesagt hat, das muss hier bleiben.“
Der Rote Baum organisiert seine Ferienausflüge nicht objektgebunden. Tatsächlich sind die Ferienfreizeiten eine wichtige Wurzel des Roten Baums, der sich in der Nachwendezeit in Dresden gegründet hat, erläutert Kießling. Nicht wenige haben gemeinsam mit dem Verein ihre Jugendweihe erlebt, viele andere waren Ferienlagerkinder und dann später auch Ferienlager-Betreuerinnen und Betreuer, waren damit Jüngeren ein Vorbild und haben sich und anderen eine schöne und sinnstiftende Zeit ermöglicht. Aus dem Verein hat sich der Jugendhilfeträger Roter Baum entwickelt.
Der Fall Moritzburg
2021 kam es zu einem Zwischenfall im Moritzburger Ferienlager. Eine Gruppe Kinder verwüstete letztlich das angemietete Objekt und man fragte sich: Wo waren die Betreuer, wer soll den Schaden bezahlen, gab es überhaupt gültige Gesundheitspässe, was haben Gesundheitspässe mit Ferienlagern zu tun? Eine Schlammschlacht, zu der Kießling auf seiner Web-Seite Stellung bezieht und diese letztlich befeuert. Inzwischen steht fest, dass Moritzburg als Reiseziel für die nächsten Ferienlager erst einmal nicht in Erwägung gezogen werden kann.
Der gemeinnützige „Rote Baum“ wird andere Orte finden und Jugendlichen aller Gesellschaftsschichten weiterhin die Möglichkeit geben zu reisen, zu lernen, Verantwortung zu tragen füreinander. Am Samstag wird im Haus der Begegnung und im Ende 2021 eingeweihten Erweiterungsneubau gemeinsam gefeiert. Ab 19 Uhr sind alle eingeladen „mit uns zu plauschen, zu tanzen und anzustoßen auf 30 Jahre erfolgreiche Projekte, schöne Erinnerungen und glückliche Kinder“.
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Wegen Moritzburg, völliges Versagen und vertuschen von den Verantwortlichen im Roten Baum.
In Moritzburg, im Ferienlager ist eine Corona-Pandemie ausgebrochen.
Unzählige Kinder und auch Betreuer sind an Corona erkrankt, zwei Kinder fahren so schwer erkrankt dass sie ins Krankenhaus mussten.
Die eingesetzten Betreuer sind wegen der Erkrankung nach Hause, Ersatz gab es erst auf behördlichen drängen.
Die Verantwortliche, spielte die ganze Situation runter.
Erst durch Eingreifen der Behörden, wurde das Ferienlager beendet.
Die Betreuer mussten allesamt lange auf ihr Geld warten bzw. zogen vor das Mahngericht in Straßfurt, verklagten den Roten Baum Dresden auf Zahlung der Entschädigungen.
https://www.saechsische.de/coronavirus/das-coronalager-fand-illegal-statt-5727837-plus.html
Man tut mega auf sozial, kann aber absolut keine Fehler eingestehen, schiebt alles auf die ehrenamtlichen Betreuer bzw ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ab.
Datenschutz und gesetzliche Regelungen interessieren diesen Verein überhaupt nicht. Strafanzeigen gegen den Verein wurden mehrfach gestellt.