An der mit mehrgeschossigen Mietswohnhäusern bebauten und 1898 benannten Pieschener Barbarastraße wurden fast einhundert Jahre lang Nähmaschinenteile, sogenannten Schiffchen, hergestellt. Das unter dem Namen „Schiffelbude“ vor allem älteren Dresdnern noch bekannte Nähmaschinenteilewerk ist fester Bestandteil der einstigen Pieschener Industrielandschaft und seine Geschichte wert, erzählt zu werden.
„Wie alle Maschinen, so hat auch die Nähmaschine eine längere Entwicklungszeit gebraucht. Die ersten Versuche, die Handnäherei durch eine nähende Maschine abzulösen, gehen bis in die Mitte der 1750er Jahre zurück.“ Und weiter heißt es im Heft 1 der Betriebsgeschichte des VEB Nähmaschinenteilewerke Dresden: „Um diese Zeit hat der damals in England lebende deutsche Arzt und Erfinder Karl (Charles) Friedrich (Frederick) Wiesenthal versucht, eine nähende Maschine zu konstruieren.“ Obwohl er 1755 dafür ein Patent erhielt, setzte sich seine Erfindung aber nicht durch. Wiesenthal wurde 1726 in Pasewalk geboren und starb 1789 in Baltimore.
In der Folgezeit wurden in den USA, in Frankreich und England über 30 Patente auf Nähmaschinen erteilt, doch nur eines erreichte praktische Bedeutung. Die erste eigentliche Nähmaschine baute im Sommer 1830 der französische Schneider Barthélemy Thimonnier (1793-1857).
In Deutschland entwickelte sich die Herstellung von Nähmaschinen- und Nähmaschinenteilen um 1850, und das in schnellem Tempo und in bestimmten Zentren. Eines dieser Zentren war Dresden. Der als Begründer der Nähmaschinenproduktion in Deutschland geltende Clemens Müller (1828-1902) hatte am 1. Oktober 1855 in Dresden mit der fabrikmäßigen Herstellung von Nähmaschinen begonnen.
Die Legende erzählt, dass in den frühen 1860er Jahren die Schlosser Gustav Schmidt (1844-1886) und Bruno Naumann (1844-1903) während ihrer Wanderschaft auch nach Dresden kamen und Arbeit bei Clemens Müller fanden. Wenig später gingen beide getrennte Wege. Während Bruno Naumann zum Gründer von „Seidel & Naumann“ wurde, orientierte sich Gustav Schmidt zunächst auf den Verkauf, den Verleih sowie die Reparatur von Nähmaschinen. Erst 1868 nahm er im Haus Johannesstraße Nr. 18 die Herstellung von Nähmaschinenteilen auf. Der Eintrag ins Handelsregister der Stadt Dresden als „Gustav Schmidt- Fabrikation von Nähmaschinenteilen und Schiffchen“ erfolgte am 24. April 1875.
Nach dem Tod des Gustav Schmidt wurde seine Firma im Auftrag der Erben verkauft, unter dem bisherigen Namen aber weitergeführt. Weil der neue Eigentümer in der Dresdner Innenstadt kaum eine Möglichkeit zur räumlichen Ausdehnung sah, verlegte er Mitte des Jahres 1896 den Firmensitz von Dresden (Drehgasse Nr.5) nach Kötzschenbroda (heute Stadt Radebeul). Die Johannesstraße und die Drehgasse befanden sich vor 1945 im Umfeld des heutigen Pirnaischen Platzes.
In dieser Zeit hatten sich zwei Mitarbeiter der Firma des Gustav Schmidt, der Kontorist Carl Eduard Würker (1843-1917) und der Schlosser Carl Ernst Knirsch (?), selbstständig gemacht. Sie gründeten 1897 die offene Handelsgesellschaft „Dresdner Specialfabrik für Nähmaschinen-Schiffchen und Stahlapparate-Carl Würker & Co“. Ihr erster Produktionsstandort befand sich in den Räumen des Hauses Großenhainer Straße Nr. 75. Nachdem 1899 der von beiden beantragte Bau eines Wohnhauses und Fabrikgebäudes in der Barbarastraße fertiggestellt war, verlegten sie ihn dorthin.
Im November 1918 fusionierten die Firmen „Gustav Schmidt“ (Kötzschenbroda) und „Würker & Knirsch“ (Dresden-Pieschen) zur „Nähmaschinenteile Aktiengesellschaft“ (Nähmatag), die sich fortan zum größten Spezialunternehmen ihrer Art entwickelte. Nach dem zweiten Weltkrieg (1939-1945) wurde sie verstaatlicht und in Volkseigentum überführt. Anfang der 1970er Jahre erfolgt dann die Angliederung der volkseigenen Nähmaschinenteilewerke an das VEB Kombinat Textima Karl-Marx-Stadt.
Im Ergebnis der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wurden 1990 auch die Nähmaschinenteilewerke mit ihren Betriebsteilen in Dresden und Radebeul von der Treuhandanstalt „abgewickelt“. Während mit dem Umbau des Dresdner Betriebes zum heute bewohnten “Barbarahof” 2016 begonnen wurde, stehen am 2012 abgerissenen Radebeuler Standort schon seit 2014 sieben Mehrfamilienhäuser.
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