„Bräuche sind wichtig, um die Fantasie der Kinder anzuregen und soziale Beziehungen in der Familie zu stärken – Eier zu bemalen, Spiele zu erfinden und Geschenke zu erhalten. Das alles trägt dazu bei, den Jahreszeitenwechsel im sozialen Gefüge verstehen zu lernen und mit Sinn zu belegen“. Dieses Resüme zieht die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert, die sich vor dem Osterfest mit der Funktion von Bräuchen beschäftigt und den Mythos des eierbringenden Hasen beleuchtet hat.
„Dass es nicht immer und überall der Hase war, der die Eier gebracht hat, zeigt ein Blick auf die Karte ‚Wer bringt und legt nach Meinung der Kinder die Ostereier?‘ aus dem Atlas der deutschen Volkskunde aus dem Jahr 1937. (Warum die dort veröffentlichte Karte kritisch zu betrachten ist, kann man hier nachlesen) Laut der zugrundeliegenden Befragung wurden je nach Region auch andere Tiere wie Hahn oder Fuchs als Überbringer der ostertypischen Überraschungen genannt. Hinsichtlich ihrer Verbreitung konnten es die Konkurrenten indes nie mit dem niedlichen Hasen aufnehmen“. So zeigt die vor fast 90 Jahren gezeichnete Karte für Sachsen neben dem Hasen auch die Henne, den Hahn und sogar den Fuchs als Überbringer der Ostereier.
Bräuche haben viele Funktionen
„Wenn wir ehrlich sind, glauben heute sogar die meisten Kinder nicht mehr wirklich an den Osterhasen. Und dennoch wird das Osterfest jedes Jahr mit großer Freude nicht nur vom christlichen Teil der Bevölkerung begangen“, schreibt Bürkert. „Kinder suchen an jedem Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond nach Süßigkeiten, kleinen Spielsachen und vor allem nach bunt bemalten Eiern, gebracht vom wahrscheinlich beliebtesten Wildtier aller Zeiten: dem Osterhasen.“
Wieso hält sich dieser Brauch auch in unseren aufgeklärten Zeiten so hartnäckig, fragt Karin Bürkert und liefert auch gleich eine Erklärung. „Bräuche wie das Osterfest haben vielerlei Funktionen. Zum einen strukturieren sie das Jahr und bieten Orientierung und Sicherheit in unsicheren Zeiten wie aktuell der unseren mit Corona-Pandemie und einem Krieg in Europa. Vor allem Kinder sind tagelang erfüllt von großer Vorfreude. Gerade das Osterfest regt dabei die Kreativität und Fantasie der Kinder an: Da kommt ein niedlicher Hase in den Garten und versteckt Eier! Wie geheimnisvoll: Wieso keine Henne? Und wieso Eier und nicht zum Beispiel Äpfel?“
Hase, Fuchs, Kuckuck – oder doch vielleicht der Auerhahn?
„Dabei war es längst nicht immer der Hase, der die Eier gebracht hat – das war früher von Gegend zu Gegend verschieden. In der Schweiz hat wohl der Kuckuck die Ostereier gebracht, und in Australien erzählt man sich vom Oster-Bilby, also dem bedrohten Großen Kaninchennasenbeutler, der so mehr Aufmerksamkeit und Schutz erfahren soll.
„Wer die Eier gebracht haben soll, ist regional verschieden. In Bayern und Thüringen geben die Kinder vermehrt den Hahn an, im Teutoburger Wald den Fuchs, und in der Kölner Bucht stehen die Eier für die ‚von Rom heimkehrenden Glocken’“. (Warum die Karte kritisch zu betrachten ist, kann man hier nachlesen)
Wieso eigentlich ein Hase?
Auf die Frage, wieso ausgerechnet ein Hase die Eier bringt, hat Karin Bürkert die folgende Antwort gefunden. „In der christlichen Ikonografie ist das Ei ein Sinnbild für die Auferstehung Christi, die aufgebrochene Schale gilt manchen für das leere Grab am Morgen des Ostersonntags. Gefärbte Eier werden für Deutschland erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt. Der Hase wiederum findet erstmals im Jahr 1682 in der Dissertation des Frankfurter Arztes Johannes Richier Erwähnung, und zwar als „eine Fabel, die man Einfältigen und Kindern aufbindet“ (Richier 1682, S. 6).
„Vielleicht lag es daran, dass Hasen und andere Tiere sich nach dem Winter auf Futtersuche bis in die Gärten trauten. Weil sie dann so flink wieder weg waren, konnte man den Kindern gut erklären, warum sie sie beim vermeintlichen Eierverstecken nicht gesehen haben. Eine Theorie könnte sein, dass nach der Reformation im 16. Jahrhundert Ostern von einer rein kirchlichen Veranstaltung immer mehr zu einem bürgerlichen Fest wurde, bei dem auch erzieherische Aspekte eine größere Rolle spielten. Man hat sich immer mehr der Kindererziehung zugewandt und deshalb für diese Feste Rituale erdacht, die sich an solche Mythen wie den Osterhasen knüpfen. Ein anderer Grund mag sein, dass Hase und Ei Symbole für Zeugungskraft und Fruchtbarkeit waren. Aber eine erschöpfende Antwort gibt es nicht, sondern viele verschiedene Mythen, Erzählungen und Herkunftsgeschichten, die sich mit der Zeit zu einer Leiterzählung verdichteten.“
Gewiss sei nur, dass der heutige Osterhase erst im 20. Jahrhundert populär wurde, durch Bücher wie „Die Häschenschule“ von 1924 und ab den 1950ern durch die Schokoladenindustrie.
Bürkert, Karin (2022): Wer glaubt denn noch an den Osterhasen … In: Nationalatlas aktuell 16 (04.2022) 3 [11.04.2022]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL: https://aktuell.nationalatlas.
One thought on “Hase, Henne, Hahn oder gar der Fuchs – wer versteckt eigentlich die Ostereier?”
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