Ausgelöst durch die Industrialisierung im frühen 19. Jahrhundert und das Entstehen von Großstädten „…entwickelte sich das Bedürfnis nach einem Verkehrsmittel, welches mehrere Personen befördern konnte und regelmäßig im Linienverkehr zur Verfügung stand.“ Nachzulesen in „Von Kutschern und Kondukteuren“, 2007 im Junius Verlag erschienen.
Dem Rechnung tragend, verkehrte seit 1838 vom Dresdner Schlossplatz zum Waldschlösschen ein Pferdeomnibus, der gelegentlich auch Vororte beziehungsweise Ausflugsorte anfuhr. Auf der Strecke nach Moritzburg zum Beispiel hielt ab 1858 ein solcher am alten Gasthaus „Wilder Mann“. Selbigen hatte sich um 1775/76 die Johanna Rosine von Zittwitz, eine Weinbergbesitzerin an den Trachenbergen, errichten lassen. Das Gebäude wurde 1892/93 abgerissen. An nahezu gleicher Stelle wurde im Dezember 1894 der neue Gasthof eingeweiht.
Am 26. September 1872 rollte die erste von Pferden gezogene Straßenbahn vom Pirnaischen Platz bis nach Blasewitz und zurück. Grundlage war ein Vertrag, den der Stadtrat zum Jahresende 1871 mit der „Continental-Pferdeeisenbahn-Aktiengesellschaft“ (Sitz Berlin) abgeschlossen hatte.
Im November 1889 wurde die „Deutsche Straßenbahngesellschaft in Dresden“ gegründet. Als Konkurrenzunternehmen zur „Continental-Pferdeeisenbahn-Aktiengesellschaft“ eröffnete sie am 14. Juni 1891 vom Schlesischen Bahnhof (heute Neustädter Bahnhof) zur Kanonenstraße (heute Weinböhlaer Straße) eine Pferdebahnlinie. Zu den Kapitalgebern der neuen Gesellschaft gehörte mit Curt Ernst Grumbt (1840-1917) einer der bedeutendsten Holzgroßhändler und Sägewerksbesitzer Dresdens.
Bevor diese Linie am 2. August 1891 bis zum Wilden Mann verlängert wurde, kam von der Kanonenstraße über den St. Pauli-Friedhof ein Pferdeomnibus zum Einsatz.
Die Elektrifizierung der Dresdner Straßenbahn begann am 6. Juli 1893. An diesem Tag verkehrte zum ersten Mal eine „Elektrische“ vom Schlossplatz zum Schillerplatz. Kurz darauf wurde die bislang fast sechs Kilometer lange Strecke über das Blaue Wunder hin zum Körnerplatz verlängert.
Bis das Netz der Dresdner Straßenbahn komplett umgerüstet war, verflossen noch sieben Jahre. Obwohl der 1. August 1900 offiziell als das Ende des Zeitalters der Dresdner Pferdebahn gilt, vergingen bis zur Aufnahme des elektrischen Betriebes zum Wilden Mann noch drei Wochen.
Weil die Arbeiten am Unterbau auf der Großenhainer Straße zwischen heutigem Trachenberger Platz und Endpunkt Wilder Mann nicht vollständig abgeschlossen waren, kam auf dieser Strecke bis zum 24. August 1900 noch die Pferdebahn zum Einsatz.
Die letzte Dresdner Pferdestraßenbahn rückte demzufolge erst am 25. August 1900 in den 1891 gebauten Straßenbahnhof an der Trachenberger Straße ein. Das heißt: Seit 122 Jahren fährt die „Elektrische“ bis zum Wilden Mann. Einschränkend sei auf Folgendes hingewiesen: Eine mit der Liniennummer 3 verkehrte zunächst nur von 1928 bis 1946/47, aber dann, und das bis auf den heutigen Tag, ab dem Jahr 1969.
Die erste, direkt am Gasthof „Zum Wilden Mann“ vorbeiführende Gleisschleife wurde am 3. November 1926 in Gebrauch genommen, die heute noch existierende am 4. Dezember 1949. In der Zeit vom 22. September bis 4. Oktober 1971 wurde sie erneut umgebaut.
Von März bis Dezember des Nachkriegsjahres 1919 war infolge akuten Kohlemangels auf der Strecke Postplatz – Wilder Mann wieder der Pferdebahnbetrieb eingerichtet worden. Die sonst bei elektrischem Betrieb als Anhänger genutzten Wagen kamen dafür zum Einsatz. Dresdner Fuhrwerksbesitzer stellten die Pferde zur Verfügung. Die „Elektrische“ selbst befuhr diese Strecke nur zu den Hauptverkehrszeiten.
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2 Kommentare zu “Brendler’s Geschichten: Seit 122 Jahren fährt eine „Elektrische“ zum Wilden Mann”
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Interessant, wie man damals auf Energieknappheit reagiert hat! Wusste ich nicht.
Danke für den interessanten Artikel, lieber Herr Brendler!
Vielen Dank für Ihre großartigen Artikel Herr Brendler