Ich habe lange nicht geglaubt, dass Corona bis zu uns kommt. Als die Infektionszahlen stiegen und der erste Lockdown kam, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Mein Leben geriet erstmal ganz durcheinander. Damals hab ich in einer Firma geputzt und musste plötzlich den ganzen Tag desinfizieren. Die Mitarbeiter wurden auch immer weniger, bis dann ganz zu war. Arbeit ist ganz wichtig für mich. Ich bin immer arbeiten gegangen. Da hab ich mir dann etwas anderes gesucht – und im World- Trade-Center gefunden. Ja und dann war auch noch der Friseur zu. Da musste ich so zurechtkommen mit meinen Haaren. Aber auch das ging. Ständig Handschuhe tragen und Desinfektionsmittel dabei zu haben – das war eine große Umstellung.
Ich erinnere mich noch, wie aufgeregt ich war, ob wir zum Sommerurlaub an die Ostsee fahren dürfen. Ja, wir durften. Das war toll.
Meine Mutter war sehr schwer krank, sie hatte im Januar eine Lungenentzündung und lag auf der Intensivstation. Es war ganz schwer, einen Heimplatz für sie zu finden. Da hat mir die Sozialarbeiterin im Krankenhaus sehr geholfen. Am Anfang durften wir auch noch zu Besuch in das Heim und meiner Mutter Sachen bringen. Als das später nicht mehr ging, war das total blöd. Plötzlich durften wir nur noch unser Mitgebringe abgeben. Telefonieren ging auch schlecht, weil meine Mutter allein nicht mehr anrufen konnte. Die Schwestern hatten zu wenig Zeit. Da hab ich sie wochenlang nicht gesehen und gehört. Später durften wir uns wieder treffen, aber nur draußen. Meine Mutter wollte unbedingt ein Sitzkissen, Socken und einen Gurkenschäler. Das war nicht so einfach. Wir waren dabei, die Wohnung zu entrümpeln und zu räumen. Dabei haben wir festgestellt, dass meine Mutter keine Socken mehr hatte, die zusammen passen. Mein Vati lebt im betreuten Wohnen. Vieles aus der Wohnung konnte die Pflegerin zu ihm mitnehmen. Zum Glück waren die Corona-Einschränkungen im Mai nicht mehr ganz so schlimm. Da konnten wir die Wohnung dann übergeben. Im August ist meine Mutter gestorben. Nicht an Corona. Es war eine große Erleichterung, dass wir uns vorher noch sehen durften.
Den Vati durften wir dagegen immer besuchen. Als es ganz schlimm war, mussten wir grüne Anzüge überziehen. Jetzt werde ich jeden Sonntag getestet, wenn ich hingehe. Ich nehme auch jedes Mal etwas mit. Das, was die Pflegerinnen einkaufen, schmeckt ihm nicht so gut.
Ich hätte nie gedacht, dass vor dem Media Markt mal eine so lange Schlange steht. Wir mussten sehr lange stehen. Aber die Waschmaschine war kaputt gegangen. Dann stand dort auch noch so ein Security Typ und alle Regale waren abgeklebt. Im letzten Jahr habe gelernt, viel besser mit den verschiedensten Automaten umzugehen.
Ich hab noch einen Gutschein für eine Ballonfahrt. Das geht dieses Jahr bestimmt auch nicht.
Ich wundere mich, dass zuerst die über 80-Jährigen geimpft werden. Ich muss doch so viel arbeiten und immer mit der Straßenbahn fahren. Ich bin doch genauso gefährdet.
Diese Corona-Geschichte hat Bettina Schwinger (54) erzählt. Aufgeschrieben hat sie Maxi Luise Kabella.
Angaben über die Zahl der am Covid-19-Virus erkrankten und verstorbenen Einwohnerinnen und Einwohner in Stadtbezirk Pieschen werden nicht erhoben. Die Statistik liefert nur stadtweite Daten.
Wir möchten statt dessen gern Ihre Geschichten und Erlebnisse aus dem vergangenen Jahr und den kommenden Monaten hier veröffentlichen. Was hat Sie beschäftigt, woran sind Sie verzweifelt, was hat Ihnen Mut gemacht, was hätten Sie anders gemacht? Homeoffice, E-Learning, Corona-Einmalhilfen, Mundschutz, Notbetreuung, Systemrelevanz, Intensivstation, Isolation, Quarantäne und viele weitere Stichworte haben das Leben anders werden lassen.
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