Wenn schwarze Vögel wie die Addams aus New York im beschaulichen Elbtal nisten, wird die Willkommenskultur der Übigauer auf eine harte Probe gestellt. Die Comödie Dresden feierte am Freitag mit ihrer lokal eingefärbten Bühnen-Adaption der düsteren Family Soap Premiere am Übigauer Schloss. Ein brutal berührender Frontalzusammenstoß der Kulturen.
Bangen und Zähneklappern gab es nicht zu knapp an diesem Freitagabend am Barockschloss in Übigau. Wird die Premiere ins Wasser fallen? Wird der kleine Teufelsbraten Wednesday ihren Metal-Wikinger Lucas bekommen? Wie geht es aus, wenn Gestorbene sich unsterblich verlieben? Wie schlägt sich der unfreiwillige Konsum eines psychoaktiven Cocktails in fremder Gesellschaft auf den Abend nieder? Nicht zuletzt waren es neben dem kühlen Wind die geschmetterten Arien, die für Gänsehaut sorgten. Die dicken Wolken vor dem spektakulären Abendhimmel in Aperol- und Cassisfarben hielten dicht.
Laute Kracher, ohrenschmeichelnder Gesang
Zum zweiten Mal lädt die Comödie Dresden zum Sommertheater nach Übigau ein. Nach dem Wirtshaus im Spessart heißt es in diesem Jahr: „Tot, lebendig oder unentschieden – herzlich willkommen!“ Die spleenige Addams-Family bietet den morbid-komischen Stoff für das schmissig inszenierte Grusical vor der wildromantischen Kulisse des Schlosses Übigau. Hier treffen die Finsternis verliebten Kosmopoliten der amerikanischen Addams Familie auf die sächsisch-senfgelben Benekes. Die Sprösslinge der Familien teilen die Vorliebe für’s Makabre und haben sich verliebt. Nun gilt es, die recht unterschiedlichen Weltauffassungen bei einem Abendessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – was dem Betrachter häufig leichter fällt als den Betroffenen selbst.
Nachbarschaftliche Konflikte sind nicht nur im, sondern auch um das Sommertheater ein Thema. Anwohner:innen beschwerten sich im letzten Jahr bei Geschäftsführer Olaf Maatz über Lärm und zugeparkte Straßen. Schon am 6. Juni startete die Comödie Dresden in die neue Saison, zunächst mit der Karaoke-Komödie „Zickenzirkus“. Schloss Übigau ist in diesem Jahr ihre einzige Spielstätte. Mehrere Änderungen im Ablauf, bei der Ausrichtung der Bühne und bei der Tontechnik halten den Unmut der Anwohner derzeit noch in Grenzen.
Nicht unkommentiert blieb schon allein wegen der geltenden Hygienevorschriften auf der Bühne die Corona-Krise. Mit todernster Miene serviert der röchelnde Frankenstein-Butler Lurch (Philipp Richter) Desinfektionsmittel auf dem Silbertablett, das Hausherr Gomez (Bert Callenbach) selbstverständlich erst aufträgt, nachdem er seine schwarzen Samthandschuhe übergezogen hat. Mit viel schaurigem Charme und zähnefletschendem Sex-Appeal nimmt das Familien-Drama seinen Lauf. Denn auch hartgesottene Frischblut-Trinker und Thanatomaniker sind vor einem Desaster nicht gefeit – der Liebe.
Das Herz elegant mit dem Dosenöffner geöffnet
Ein Chor spukender Lokalheld:innen von Karl May bis Melitta Bentz begleitet tänzerisch das Geschehen. Es sind nicht die einzigen Verflechtungen mit regionaler Geschichte und Lokal-Charakteristika, die punktuell in recht unsanfte Rippenstöße münden. Das Publikum nimmt es hingerissen auf. Die Addams öffnen die Herzen elegant mit dem Dosenöffner. Bis zur Pause hat sich ein Knäuel von emotionalen Verstrickungen gebildet, dass nur durch zahlreiche gesungene Eingeständnisse wieder gelöst werden kann. In den eisigen Adern der Addams fließt überraschenderweise ebenso heißes Blut wie hinter der spröden Fassade der biederen Alice Beneke (Cornelia Drese).
Ins Auge fielen die sicher aus Gründen der Sichtbarkeit überdimensionierten Requisiten durch ihre Maschen: Sektgläser, Kelche, Apfel, Besteck und Beutetiere – alles aus Strick. Produkte der langen Corona-Zeit? Hinweis auf die angesprochenen Verstrickungen? Dieses Rätsel der Requisiteur:innen nahm ich ebenso in die dunkle Nacht mit nach Hause wie die kessen Sprüche von Morticia „Querida“ Addams (Carolin Masur) und eine Weisheit: Die Liebe verträgt keine Geheimnisse.
Die Addams wurden von der Comödie im Hexenkessel mit „eiskaltem Händchen“ auf ihre Essenzen eingekocht, für den hiesigen Gaumen aufbereitet und heiß serviert mit Galgen-Gags, zwiebelnden Sprüchen und eingängigen Songs. Das Publikum geht am Ende dankbar in Rhythmusklatschen über. Wäre das Stück ein Gericht, wäre es ein saftiger Blutpudding. An manchen Stellen etwas süß – aber wer wollte das einem Blutpudding ernsthaft vorhalten?
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