Der 1880 gegründete „Verschönerungsverein für die Lößnitz und Umgebung“ trat im Jahre 1888 mit einem Wanderweg an die Öffentlichkeit, der an der Eisenbahnstation Radebeul begann und am Gasthaus „Zum letzten Heller“ endete. Damals hielt die Leipzig-Dresdner Eisenbahn nur „nach Bedarf“ in der Gemeinde Radebeul. Die heutige Bahnhofsanlage in Radebeul-Ost entstand von 1898 bis 1901. Die „originale Beschreibung des Wanderweges“ durch den Verein ist mit erläuternden Kommentaren versehen.
„Von der Eisenbahnstation Radebeul…“, so die Beschreibung des Wanderweges, „… wendet man sich nach der mit Ahornbäumen bepflanzten Bahnhofsstraße (heute Hauptstraße-KB), an den ‚Vier Jahreszeiten‘ vorüber, überschreitet die Dresdner Straße (heute Meißner Straße-KB), hält sich hier bei der Wegteilung links und biegt dann rechts ab nach einem im Garten halbversteckten, ‚Zum Russen‘ genannten Gasthause.“
Kommentar: Mitte der 1960er Jahre wurde das Gasthaus „Zum Russen“ geschlossen und 2005 bis auf die Grundmauern abgerissen. Nach Sanierung und Restaurierung der „Grundstücksreste“ steht heute und hier das Wohnhaus Hauptstraße Nr.47. Bei dessen Bau wurde sich am historischen Vorbild des ehemaligen Gasthauses orientiert.
„Der Weg führt nun an hübschen weinumlaubten Villen und Winzerhäusern vorüber, […] zwischen Gärten und Weinbergsmauern sanft ansteigend. Immer reicher gestaltet sich der Blick in das liebliche Elbthal, je näher man dem Ziele kommt […] Über den Walters Grund (heute Fiedlergrund-KB) führt eine Brücke, […] unweit davon steht das Restaurationsgebäude ‚Walter’s Weinberg‘ mit hübscher Veranda, von welcher sich eine reizende Fernsicht bietet.“„Walter’s Weinberg“, später „Fiedlerhaus“ genannt. Foto: um 1900, Archiv K. Brendler
Kommentar: Seit 1823 betrieb der Branntweinbrenner C. G. Walter, ab 1834 sein Nachfolger, am Eingang zum damaligen „Walters Grund“ die Schankwirtschaft „Walter‘s Weinberg“. Am 11. August 1893 eröffnete in „Walter‘s Weinberg“, später „Fiedlerhaus“ genannt, eine „Anstalt für besserungsfähige und erholungsbedürftige lungenkranke Männer“. Den Namen verdankt sie dem in Eisenberg (heute Moritzburg) geborenen Arzt Carl Ludwig Fiedler (1835-1921). In den Jahren 2006/07 erfolgte der Umbau zu einem Mehrfamilienhaus.
„Man wendet sich nun dem Walde zu auf dem nach der sogenannten Baumwiese führenden Weg. In etwa zehn Minuten gelangt man zu einer auf Wiesen gebetteten und von schönem Hochwald umgebenen Häusergruppe, der von Dresdnern vielfach besuchten und als Sommerfrische benutzten ‚Baumwiese‘.
Kommentar: Seit 2015 dauerhaft geschlossen, wurde der „Baumwiese“ das Schankrecht schon 1679 zuerkannt. Noch heute besitzt sie im Wesentlichen das Aussehen wie schon 1800.
„Vor dem Gasthofe ’Baumwiese‘ zeigt sich dem Auge in einiger Entfernung ein hübsches mit einem Turm versehenes Landhaus.“
Kommentar: Es ist das „Haus Waldhof“. Eine erste Erwähnung als Landhaus mit Weinpresse fand der „Waldhof“ 1715. Seit Beginn der 1890er Jahre war er im Besitz des Bildhauers Peter Henseler (1852-1921). Seine Erben verkauften ihn an den Dichter Carl Sternheim (1878-1942). Den Kauf vermittelte der mit Sternheim befreundete und in Klotzsche wohnende Maler Conrad Felixmüller (1897-1977). Nach unterschiedlicher Nutzung in den folgenden Jahrzehnten ist das ehemalige „Haus Waldhof“ heute Teil einer großen Wohnanlage.
„…den Wanderweg fortsetzend, betritt man abermals den Wald. […] Nach etwa 25 Minuten gelangt man zum Wirtshause ‚Glasewald’s Ruhe‘, still und lauschig im Walde gelegen.“
Kommentar: Der Architekt und Baukondukteur Ephraim Wolfgang Glasewald (1753-1817), Sohn des Wilschdorfer Pfarrers Jonathan Glasewald (1707-1768), erbaute sich um 1785 auf dem Flurstück seines Vaters ein kleines Landhaus. Die nach 1817 erweiterte „Glasewalds Ruhe“ war in den Folgejahren eine Ausflugsgaststätte. Fast zwei Jahrzehnte, von 1900 bis 1918, befand sich hier die Militärgenesungsanstalt des XII. 1. K. S. Armeekorps. Danach wurde das Haus wieder Gaststätte genutzt und nach 1945 unter anderem auch Gästehaus des Rates des Bezirkes Dresden. Heute dient das Grundstück „Glasewalds Ruhe“ (Berggasse Nr.27) als Gewerbehof.
„Von hier aus schlägt man den abwärts führenden Fahrweg ein, lässt eine sumpfige Waldlache, der Olterteich genannt, rechts liegen und gelangt nun zu den im Walde liegenden Oltersteinen.“
Kommentar: Das Naturdenkmal Oltersteine besteht aus zwei etwa 1,50 Meter hohen und drei Meter langen, seit 1937 unter Naturschutz stehenden Braunkohlequarziten (Knollensteinen). Durch die Eiszeit aus dem Niederlausitzer Braunkohlengebiet an ihren Platz transportiert, sollen die Steine der Legende nach heidnische Opferstätten gewesen sein. Der Olterteich, ebenfalls als Naturdenkmal ausgewiesen, ist als einer der wenigen Teiche der Dresdner Heide ständig mit Wasser gefüllt.
„Aus dem Walde heraustretend und der Chaussee folgend […], gelangt man bald nach dem Gasthause ‚Zum letzten Heller‘, eines der ältesten Wirtshäuser der ganzen Gegend, das bei den Jagden der sächsischen Kurfürsten in den wildreichen Forsten vielfach als Rendezvous benutzt wurde.“
Kommentar: Der Gasthof „Zum letzten Heller“, auch „Hellerschänke“ genannt, wurde um 1680 eröffnet und 1704 erweitert. Er diente im 19. Jh. zeitweise militärischen Zwecken. Seit 1872 wieder Gasthof, musste er wegen Baufälligkeit 1956 geschlossen und um 1970 abgerissen werden.
„Der zurückgelegte Weg beträgt zirka drei Stunden. Diese Tour, obschon keineswegs interesselos, ist freilich zum Teil etwas sonnig und sandig. Man kann nun den angenehmen Weg wählen, welcher durch die mit hübschen Häusern besetzte Hügelkette der Trachenberge zur Großenhainer Chaussee und zum Leipziger Bahnhof führt.“ Soweit die Beschreibung des Wanderweges aus dem Jahr 1888 durch den „Verschönerungsverein für die Lößnitz und Umgebung“.
Kommentar: Heutzutage kann der Wanderer für den Rückweg natürlich auch die Buslinie Nr. 70 benutzen. Die Haltestelle „Am Olter“ liegt in Nähe des Standortes der ehemaligen „Hellerschänke“.
Ankündigung: Für alle Interessierten gibt es im Herbst die Möglichkeit, die beschriebene Wanderung gemeinsam mit Klaus Brendler live zu erleben. Ein genauer Termin wird noch bekanntgegeben. Interessenten können gern im Kommentarfeld eine Nachricht hinterlassen und werden per Mail über den genauen Termin informiert.
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2 Kommentare zu “Brendler’s Geschichten: Von der Bahnstation Radebeul zum „Letzten Heller“”
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tolle Geschichte, wie die anderen auch! immer gerne wieder
Lieber Herr Brendler,
sehr interessanter Artikel, einiges davon hätte ich in meinen Vortrag über Wilschdorfer Frühlingsbräuche einbauen können, wenn ich es schon gewusst hätte. Danke für die neuen Infos.
An der Wanderung auf den Spuren dieses Wandervorschlags möchte ich gern teilnehmen.