Mit fast 230 Jahren war das „Goldene Lamm“ die älteste Gast- und Schankwirtschaft des erstmals 1242 urkundlich als „Trachennowe“ erwähnten und zum 1. Januar 1903 nach Dresden eingemeindeten heutigen Stadtteils Trachau. Seine Geburtsstunde schlug, als 1773 dem ansässigen Häusler und Fleischhauer Johann Gottfried Ockert gestattet wurde, in seinem Hause „Brandewein zu brennen und solchen sowohl als Wein zu verschenken.“
Mit der im Sommer 1787 auf Ockerts Betreiben hin zusätzlich erteilten Erlaubnis zum „Gastieren und Herbergen“ sowie zum „Schlachten und Backen“ wurde sein Haus zum ersten Gasthof in der Geschichte des Dorfes Trachau.
Bis Anfang der 1870er Jahre blieb der Gasthof die einzige Schankwirtschaft innerhalb der Trachauer Flurgrenzen. So erklärt sich auch, warum 1839 nur er für die erste Gemeinderatswahl in Frage kommen konnte. Am 29. Juni hatte sie auf der gesetzlichen Grundlage der im gleichen Jahr in Kraft getretenen Sächsischen Landgemeindeordnung stattgefunden.
Trotz der Zunahme von Restaurationen und Schankstätten in der Gemeinde, wie der „Schützenhof“, die „Waldvilla“ oder die „Bergschenke“, Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens blieb der „Gasthof zu Trachau“.
So diente er zum Beispiel als Wahllokal für die Reichstagswahlen 1877, 1878, 1881 und war zentraler Ort für die Einweisung sowie Auswertung der aller fünf Jahre durchzuführenden Zählungen der Einwohnerschaft Trachaus.
In den Jahren 1880/81 ließ der damalige Grundstückseigentümer Hermann Heinrich Hanke den Gasthof an gleicher Stelle völlig neu erbauen. Die „Dresdner Nachrichten“ schrieben dazu am 16. Dezember 1881:
„Endlich hat auch der an der Leipziger Chaussee gelegene sehr alte Trachauer Gasthof einem neuen, der Jetztzeit entsprechenden Gebäude Platz gemacht. Der Wirt des Gasthofes hatte gestern seinen Einzugsschmaus abgehalten. Der durch den großen Speisesaal und Nebenstuben erweiterte Tanzsaal sowie im Sommer der große schattige Garten mit Kegelbahn werden dem neuen Etablissement gewiss viele hungrige, durstige und tanzlustige Spaziergänger zuführen.“
Eine weitere bauliche Veränderung erfuhr der Gasthof in der Zeit von 1894 bis 1898. Während der laufenden Arbeiten stellte der Grundstückseigentümer und Gastwirt Heinrich August Werner Zusatzanträge zur Errichtung einer Markise, einer Terrasse und eines Gartenlokals. Diese wurden ebenso genehmigt, wie 1896 das Ersuchen zum Bau eines Schlachthauses, in dem pro Jahr 25 Schweine geschlachtet und verarbeitet werden konnten.
Nach Abschluss der Bauarbeiten war aus dem „Gasthof Zum Lamm“ ein großer Gaststättenkomplex entstanden. Zu ihm gehörten drei Gast- und Gesellschaftsräume, der Ballsaal mit Orchesterbühne, ein Gasthofgarten nebst Terrasse und eine Kegelschubanlage.
Außerdem befanden sich im Gebäudekomplex die für die Betreibung der Gastwirtschaft notwendigen Wirtschaftsräume und Sanitäranlagen, das Schlachthaus sowie Pferdeställe. Die Räume des 2. und 3. Stockwerkes waren als Wohnungen vermietet.
Als Trachau 1903 eingemeindet wurde, reihte sich der Gasthof „Zum Goldenen Lamm“ würdig in die Kette der Dresdner Restaurants und Ballhäuser entlang der Leipziger Straße ein.
Der Erste Weltkrieg beeinträchtigte den Gaststättenbetrieb kaum. Der große Ballsaal diente zeitweilig als Unterkunft für die Mannschaften eines sächsischen Pionierbataillons. Um 1919/20 wechselte das „Goldene Lamm“ seinen Besitzer. Dem Zuge der Zeit folgend, eröffnete selbiger am 28. August 1925 im Ballsaal das über Sperrsitze und Sitze im Mittel- und Seitenparkett verfügende „Tonfilm-Theater Goldenes Lamm“.
Wenig später, im Herbst 1930, wurde der Anbau an der Straße Alttrachau fertiggestellt. Ihn bezog bis 1945 der preisgünstig Lebensmittel und Haushaltsartikel vertreibende „Görlitzer Waaren- und Einkaufsverein“.
Während des Zweiten Weltkrieges, zumindest in den letzten Kriegsjahren, finden keine Filmvorstellungen statt. Die Gaststätte hat den Umständen entsprechend geöffnet. Ab dem Sommer 1945 zieht wieder „Normalität“ein, sowohl in den Filmtheater- als auch in den Gaststättenbetrieb.
Von 1964 bis 1968 bespielte neben dem Filmtheater auch das Staatliche Puppentheater Dresden den Saal. Nach dem Einbau eines 240 Plätze fassenden Puppentheatersaales wird das Filmtheater um 1970 geschlossen. Am 29. April 1998 gibt dann auch das Puppentheater seine letzte Vorstellung und zieht in das Rundkino auf der Prager Straße.
Das Restaurant „Goldenes Lamm“, bis 1990 als HO-Gaststätte geführt, wird noch bis zum Elbhochwasser 2002 privat betrieben, danach aber nicht wieder geöffnet.
Im Jahre 2005 erwarb die Freie evangelische Gemeinde Dresden das gesamte, zum Teil stark geschädigte Hausgrundstück und weiht es nach Umbau und Sanierung am 9. September 2007 mit einem Festgottesdienst als Gemeindezentrum „Goldenes Lamm“ ein.
Die Bühne des einstigen Ballsaals, der zeitweise als Kino und später als staatliches Puppentheater genutzt wurde, ist wieder aufgebaut. Hier finden Theateraufführungen, Kleinkunst sowie Konzerte statt. Weil der Bürgersaal im Rathaus Pieschen wegen der Corona-Hygieneanforderungen zu klein war, fand hier am 5. Mail auch eine Sitzung des Stadtbezirksbeirates – mit den geforderten Abständen zwischen den Beteiligten – statt.
Die Freie Evangelischen Gemeinde will als Bauträger in Form einer Eigentumsgesellschaft rund 3 Millionen Euro in einen Neubau investieren. Der 2009 gegründete Verein „Musikschule Goldenes Lamm“ soll dann als Betreibergesellschaft der Mieter in dem Neubau sein. Die Baugenehmigung für das Vorhaben ist von der Stadt inzwischen erteilt und im Amtsblatt vom 28. März 2020 veröffentlicht worden.
>> zum Archiv von Brendler’s Geschichten
2 Kommentare zu “Brendler’s Geschichten: Vom Dorfgasthof zum Gemeindezentrum”
Das könnte Sie auch interessieren …
Mit freundlicher Unterstützung des Dresdner Kinokalenders präsentieren wir die Kinotipps der Woche für den Stadtbezirk Pieschen. >>>
Nachdem am Mittwoch der Sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im zweiten Wahlgang wiedergewählt wurde, hat er am Donnerstagmorgen >>>
Wem gehört die Dresdner Carolabrücke? Eigentlich ja allen Dresdnern, wenn die Brücke noch stehen würde. Ein Teil ist von allein eingestürzt, >>>
Unbekannte sind am Sonntag, am Nachmittag zwischen 12 und 15 Uhr, in ein Haus an der Heidestraße in Dresden-Pieschen eingebrochen. Sie versuchten >>>
Wer einmal das „Orientteppichhaus Sachsen“ betritt, dem wird schnell klar: in dem Laden steckt Geschichte, steckt Erfahrung drin. Und >>>
Im Gebäudekomplex hatte auch lange die Druckerei Heinz Zeschel? seinen Platz.
Zeschel hat u.a. die Eintrittskarten und Programmhefte von Dynamo Dresden gedruckt. Bei Dynamo war er wohl irgendwie involviert, auf jeden Fall unterstanden ihm die Balljungen, von denen ich in den 1970iger Jahren, vier Jahre lang einer war.
?weiß nicht (mehr) ob der Name so geschrieben worden ist.
Der Paul
Ab 1930 hatten sich in der ehemaligen Markise (überdachte Plätze im Gasthofgarten) der Klempner Bruno Tennert, der DEKO- Maler Kurt Koch und der Buchdrucker Franz Zechel (bis 1995) kleine Werkstätten eingerichtet. Selbige wurden 2006 durch die Freie Evangelische Gemeinde (FeG) im Zuge des Umbaus zu einem Gemeindezentrum abgerissen.