Das Schuljahr 2018/19 ist schon seit ein paar Tagen Geschichte. Die meisten Schülerinnen und Schüler genießen zurzeit die Ferien. Bevor es aber soweit war, mussten Prüfungen bestanden werden. Sachsenweit haben 15.100 Schüler an den Abschlussprüfungen für den Realschulabschluss teilgenommen, 3.000 an denen für den Hauptschulabschluss. Dazu haben sich rund 16.800 Absolventen den Abiturprüfungen 0der den Prüfungen zur Fachhochschulreife unterzogen.
Weniger bekannt sind die Schulfremdenprüfungen. Sie sind für Schüler von staatlich anerkannten (im Unterschied zu staatlich genehmigten) Schulen gedacht oder für Erwachsene, die über den zweiten Bildungsweg einen Haupt- oder Realschulabschluss erwerben möchten. Die Vorbereitung auf die Prüfungen erfolgt in Kursen an einer Abendoberschule oder an der Volkshochschule. Eine besondere Art der Vorbereitung bietet die Straßenschule Dresden, ein Projekt der Treberhilfe. Für vier Teilnehmer der Straßenschule schlug gerade an der Oberschule Pieschen die Stunde der Wahrheit.
„Grundsätzlich ist es für uns unerheblich, aus welchen Schulen die Prüflinge zu uns kommen. Doch vor den Absolventen der Straßenschule habe ich großen Respekt“, betont Petra Bräutigam, Schulleiterin der Oberschule Pieschen. „Als junge Erwachsene haben sie sich noch einmal aufgerappelt und sich trotz der teilweise schlechten Schulerfahrungen und der Brüche in der Schulbiografie den Anforderungen eines Schulabschlusses gestellt. Das verlangt Mut und Durchhaltevermögen und verdient meine besondere Achtung“, fügt sie als Erklärung hinzu. Der Besuch einer Abendoberschule wäre für diese jungen Leute keine Alterative gewesen. „Egal, wieviele es sind. Jeder ist ein Gewinn“, sagt Petra Bräutigam. Wie für die eigenen Schüler bietet das Lehrerteam der Oberschule auch den schulfremden Prüflingen die Möglichkeit von Konsultationen an, bevor es dann ernst wird.
Schmerzhafte Lektionen im Leben gelernt
Insgesamt 14 Teilnehmer der Straßenschule Dresden haben sich in diesem Jahr den Prüfungen gestellt. Vier von ihnen haben den Hauptschulabschluss geschafft, drei den qualifizierten Hauptschulabschluss. Weitere drei können durch Nachprüfungen ihr Ziel noch erreichen.
Einer, der es geschafft hat, ist Gregor. Der 18-Jährige lebte bis vor kurzem in Pieschen und legte daher seine Prüfungen zum qualifizierten Hauptschulabschluss an der Oberschule Pieschen ab. „Ich war recht entspannt. Ich wusste, dass ich gut vorbereitet war“, erzählt Gregor, dessen junge Lebensgeschichte gefüllt ist mit Schulverweigerung, Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und Beschaffungskriminalität, der Ablehnung von scheinbar unsinnigen Anforderungen von außen, dem Druck funktionieren zu müssen, der Suche nach dem eigenen ICH. Dazu gehört aber auch die Lebenswende, die Erkenntnis, dass er so nicht mehr weitermachen wollte, als sein Leben zum Teil am seidenen Faden hing. Ihm war klar geworden, dass er es selbst ist, der etwas aus seinem Leben machen kann, dass er sich um sich selbst kümmern muss und kann. „Mit dem Hauptschulabschluss habe ich das erste Mal in meinem Leben etwas wirklich zu Ende gebracht“, erzählt er nicht ganz ohne Stolz.
Regelmäßigkeit dank Straßenschule
Mit der eigenen Wohnung, die er im vergangenen Jahr bezog, änderte sich nicht sofort alles. Aber es war ein Anfang. Gregor hatte einen Ruhepol, wo er zu sich finden konnte. Durch eine Freundin wurde er auf das Projekt der Straßenschule Dresden aufmerksam. „Die Leute hier haben mich als Menschen akzeptiert, so wie ich bin. Durch sie habe ich es geschafft mein Leben zu verbessern.“ Anfangs kam der Musikfan, der bereits mit acht Jahren Schlagzeug spielte und mit zehn Jahren die Aufnahmeprüfung der Landesmusikschule bestanden hat, nur zum Gitarrenspielen in die Straßenschule. Sein Leben bekam wieder eine regelmäßige Struktur. Das Erreichen eines Schulabschlusses war für ihn zunächst gar nicht wichtig. Er hatte einfach mit der Zeit wieder Interesse daran, Wissen zu erlangen. So schaffte er es nach und nach auch mit dem Kiffen aufzuhören: „Anfangs hab ich vor der Schule noch gekifft, aber da war ich dann zum Lernen gar nicht klar genug im Kopf. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es sich lohnt, zuzuhören und mitzuschreiben“, beschreibt Gregor, wie er zu seinen Einsichten gekommen ist.
Die Suche nach dem eigenen ICH
Die Suche nach dem eigenen ICH geht beim ihm sicher noch weiter. Inzwischen hat er Spaß am Lernen gefunden und empfindet es als bereichernd, weiteres Wissen aufzunehmen und Zusammenhänge zu verstehen. Im kommenden Schuljahr möchte er sich daher mithilfe der Straßenschule auf den Realschulabschluss vorbereiten. Er denkt sogar laut über das Abitur nach. Er weiß, mit seinem jetzigen Abschluss hat er etwas in der Hand, aber die Berufe, die er damit erlernen könnte, würden ihn auf Dauer nicht erfüllen. Inzwischen hat er gelernt, sich Notwendigkeiten zu beugen, aber sich dadurch auch eigene Freiheiten zu schaffen. Sein Blick auf die Gesellschaft ist kritisch geblieben. Ellenbogenmentalität, Ignoranz und Desinteresse vieler Mitmenschen empfindet er als besonders negativ. „Wenn ich im Leben etwas finde, dass mich interessiert und ausfüllt, kann ich daraus auch die Energie ziehen, Dinge besser zu akzeptieren, die ich nicht so toll finde“, erklärt Gregor. Sein Job als Pizza-Auslieferer soll keine Dauerlösung sein. Er möchte mehr aus seinem Leben machen. Ob er einmal studieren wird oder einen Beruf erlernt, wo er viel in der Natur sein kann – da hat er sich noch nicht festgelegt. Entscheidend für ihn ist, dass er dank der Betreuung durch die Mitarbeiter der Straßenschule wieder Boden unter den Füßen spürt, sein Selbstbewusstsein und sein Selbstwertgefühl gefunden hat.
Staatlich anerkannte Ersatzschulen können staatliche Abschlüsse selbst vergeben. Staatlich genehmigte Ersatzschulen dürfen dies nicht. In diesem Schuljahr haben die Laborschule Dresden (Gymnasium), die Freie Alternative Oberschule Dresden sowie die Janusz-Korczak-Schule Dresden (Förderschule) Schülerinnen und Schüler zu einer Schulfremdenprüfung geschickt.
Im Schuljahr 2017/18 haben insgesamt 98 Absolventen in Dresden ihren Schulabschluss durch eine Schulfremdprüfung erlangt (25 Hauptschulabschluss, 14 qualifizierter Hauptschulabschluss, 35 Realschulabschluss). Zahlen zum Schuljahr 2018/19 liegen beim Statistischen Landesamt noch nicht vor.
Die Straßenschule der Treberhilfe Dresden e.V. wurde 2014 ins Leben gerufen und richtet sich in der Regel an 18- bis 27-Jährige in schwierigen Lebenssituationen, die auf dem ersten Bildungsweg keinen Schulabschluss erlangen konnten. Die Straßenschule arbeitet mit Honorarlehrkräften und ehrenamtlichen Lernbegleitern. Wer sich in der Straßenschule und damit für junge Menschen engagieren möchte, gern auch pensionierte Lehrer, wendet sich an die Straßenschule (Telefon: 0351 / 321 494 – 40). Auch Spenden aller Art, wie Schulbücher, Tische, Stühle oder Technik sind willkommen.
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