„Paradieshonig“ steht auf dem Glas mit dem goldgelben Ambrosia, das Heiko Tümmler mir überreicht. Tatsächlich wirkt das Grundstück in Alttrachau, auf dem seine sechs Bienenstöcke stehen, wie ein Garten Eden. Wenn auch – sehr zum Leidwesen der Gärtnersfee Conni Stollberg – ein trockener. Gehölze, Tomaten, Gräser, Auberginen, Paprika, Spargel und Blumen gedeihen hier auf dem weitläufigen Gelände. Eine fruchtbare Symbiose ist das zwischen den Blümchen und Bienchen, die von ihren jeweiligen Herrinnen und Herren liebevoll gehegt werden – entgegen aller Widrigkeiten.
Vor neun Jahren begann Heiko Tümmler, der als Medizinphysiker im Städtischen Klinikum Dresden arbeitet, sich für die Imkerei zu interessieren. Maßgeblich, weil ihm auffiel, dass es immer weniger Bienen gab. Von seinem Schwiegervater, der die Imkerei an den Nagel hängte, bekam er die ersten Teile seiner Ausrüstung gestellt: eine Schleuder und ein Sieb. „Ich war vollkommen hingerissen davon, wie Bienen leben“, sagt Heiko mit der ihm eigenen Ruhe und Behutsamkeit in der Stimme. Es stellte sich die große Frage, wie man eigentlich mit der Imkerei beginnt. Das geschieht nicht, erklärt Heiko, wie man denken könnte, mit einer einzelnen Königin, sondern mit einem Schwarm. „Ein Schwarm ist so vital. Das pure Leben“, schwärmt er.
Wir sitzen vor einem der Bienenstöcke und schauen uns das Getümmel an. Im Sommer, erklärt Heiko, machen die Bienen in ihrer Einfahrt gern einmal Pause. Besonders, wenn es so trocken und heiß ist wie jetzt und die Blüten keinen flüssigen Nektar, sondern nur Pollen bieten. Um seine Völker, die jeweils 30.000 bis 40.000 Bienen umfassen, zu unterstützen, füttert Heiko Zuckerwasser zu. Im Frühjahr ist das anders. Dann fliegt das Volk pausenlos ein und aus, um Vorräte zu sammeln. Es ist die Zeit des Schwärmens: Das Bienenvolk teilt sich auf, indem die junge Königin auf Hochzeitsflug geht, um sich von Drohnen begatten zu lassen. Zuvor hat das Volk entschieden, Weiselzellen zu bauen. Das ist das Signal für die alte Königin, Eier hineinzulegen. Die größeren Weiselzellen sind die Wiegen für die Thronfolgerinnen, die mit Gelee Royal gepäppelt werden. Einzig allein die Nahrung entscheidet darüber, ob sich aus eine Larve eine Arbeiterin oder eine Königin entwickelt.
Die junge Königin sammelt eine Schar Bienen um sich und gemeinsam brechen sie mit Vorräten beladen auf, um eine neue Kolonie zu gründen. Heiko arbeitet zugunsten der Imkerei verkürzt und ist jeden Montag bei den Bienen – zur schwärmerischen Zeit ist das dennoch zu wenig. Dann hat Conni neben ihren Pflanzen ein Auge auf die Bienen. Wenn sie zum Aufbruch rüsten, warnt sie Heiko vor. So besteht die Chance, den abgetrennten Schwarm unweit des Stockes aus einer Baumkrone zu pflücken. Einen Schwarm bekommt man als Anfänger beispielsweise über die Feuerwehr. Diese wird oft als erstes informiert, wenn ein herrenloser Schwarm entdeckt wird. Die andere Möglichkeit ist, direkt bei einem Imker anzufragen. Im Umkreis von fünf Kilometern suchen Bienen nach Nahrung – wenn der neu gebildete Schwarm weit genug entfernt angesiedelt wird, „fliegen sich die Bienen ein“, vergessen ihren alten Standort und fangen sofort an, ihren neuen Palast zu bauen.
Die Biene als einzelnes, bestätigt Heiko Tümmler, gibt es in diesem Sinne nicht. Alle Bienen eines Volkes in ihrer Summe bilden den perfekt organisierten Organismus „Biene“, fachlich korrekt „Der Bien“ genannt. Ammen, Wasserträgerinnen, Wächterinnen leben in einem komplexen, kommunizierenden Sozialverband miteinander. Vor dem Eingang des Bienenstockes macht mich Heiko auf die Wächterin aufmerksam: Eine Biene, die den Ein- und Ausflug kontrolliert. Emsig klopft sie jeden Neuankömmling ab und überprüft, ob er auch zum richtigen Volk gehört. Eine Wespe kommt heran gebrummt und wird unsanft des Platzes verwiesen. Ist ein Volk zu schwach, erklärt Heiko, kann es derlei Angriffe nicht abwehren und wird ausgeraubt – auch von anderen Bienenvölkern.
Der Dokumentarfilm „More than Honey“ habe ein neues Bewusstsein für die Biene geschaffen, erzählt Heiko. Das habe er als Imker am verstärkten Interesse an seiner Arbeit bemerkt. Immer mehr Menschen möchten selbst Bienenstöcke pflegen – ein städtisches Phänomen, das dank der Pflanzendiversität in Gärten, Parks und auf Balkonen Früchte trägt.
Heiko Tümmler betreibt sein Fach mit viel Rücksicht und Zurückhaltung. Zweimal im Jahr erntet er Honig, den er an Freunde weitergibt oder über den Weinhandel Stollberg vertreibt. Die erste Ernte bringt die Frühtracht, die zweite folgt nach der Lindenblüte. Seine Söhne, elf und vierzehn Jahre alt, helfen mit Begeisterung bei der Ernte. Auf den Etiketten ist vermerkt, wer den Honig geschleudert hat. Den Rest des Jahres überlässt Heiko den Bienen ihre Vorräte, damit sie mit möglichst wenig Zufutter über den Winter kommen. „Es ist mir wichtig, respektvoll und ruhig mit den Bienen zu arbeiten“, sagt er.
Die Bienen reagieren auf seine Stimmung. Wenn er unausgeglichen ist, funktioniert die Zusammenarbeit nicht so reibungslos. Und wenn er Fehler macht, beispielsweise beim Sichten der Kisten Bienen eingequetscht, ist das Volk beim nächsten Besuch in Hab-Acht-Stellung. Die Bienen sind nervös und summen Heiko warnend vor dem Gesicht herum. Das Vertrauen muss erst wieder erarbeitet werden.
Bis vor wenigen Jahren hatte Heiko noch einige Kisten mit Bienen am Waldrand stehen. Die Bienen versorgten sich das ganze Jahr selbst, vom Honig wurde quasi nichts entnommen. Die Amerikanische Faulbrut, eine höchst infektiöse Epidemie, die seit knapp vier Jahren in Dresden wütet, zwang Heiko zur Änderung seiner Betriebsweise. In Dresden und dem Umland sind Sperrbezirke verhängt, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Heiko entschloss sich, die Imkerei vorerst auf die Stadt zu beschränken. Aber die Kisten für die naturnahe Bienenhaltung warten im Keller auf ihren nächsten Einsatz.
In Alttrachau beglücken „seine Damen“, wie er liebevoll sagt, die anrainenden Gärten. „Durch die Biene bist du drin in einem Kreislauf“, berichtet Heiko. es ergeben sich immer neue Verbindungen. In Kontakt steht er beispielsweise über Anja Osiander, der zweiten Gärtnersfee neben Conni Stollberg, mit dem Hufewiesen-Verein Trachau. Die Natur ist ohne die Biene nicht zu denken. „Es sagt viel über den Menschen aus“, sagt Heiko „wie er über die Biene denkt und sich ihr gegenüber verhält.“
Imkerei
Alttrachau 31
3 Kommentare zu “Schwärmen für den Schwarm – Imker Heiko Tümmler”
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Vielen Dank für die einfühlsame Beschreibung des Imkerlebens in Alttrachau1
Der im Artikel erwähnte Paradieshonig ist erhältlich in der Weinhandlung Stollberg, Alttrachau 31, geöffnet donnerstags und freitags von 14 bis 19 Uhr sowie sonnabends von 10 bis 16 Uhr. In der Saison gibt es hier auch Gemüse aus dem Garten.
Mehr über den Garten ist auch zu erfahren im Gartenblog unter:
http://www.weinhandlung-stollberg.eu
Wer noch nichts oder nur sehr wenig über die fleißigen Bienen und den ebenso fleißigen Trachauer „Bienenmann“ wusste, hier ist es mit „lockerer Hand“ aufgeschrieben. Dass ein Hinweis zum Bleichen des Bienenwachses und dessen weiterer Verwendung ausgespart wurde, schmälert den Beitrag in keinster Weise.
@Osiander:
Da der letzte „Gartenblog“-Beitrag vom 12. Dezember 2017 ist, ist der Hinweis eigentlich hinfällig.