Der Lebens-Raum der schillernden Conny Cobra, dem einzigen Exemplar ihrer Art, ist auf 76 Kubikmeter begrenzt, hell erleuchtet, einseitig verglast und kühl – für Wechselwarme ein denkbar unangenehmes Klima. Aber Conny Cobra ist anders: Sie brennt für die Kunst, und das hält warm. Leben und Werk sind für sie untrennbar verbunden: In der alten Fleischerei Hofmann, in deren Schaufenster heute Leberwürste aus Porzellan hängen.
Conny Cobra ist Künstlerin in allen Spektralfarben. Sie malt, entwirft Plattencover und Plakate, sie zeichnet, arrangiert, archiviert, kalligraphiert, geht auf archäologische Spurensuche, recherchiert, tourt, lehrt, leitet und verbindet. Ego und Kunst verschmelzen in ihrem Wirken zu Lebenskunst und das hinter offenen Türen, als Einladung für alle und bereichert durch alle, die ebenso neugierig und interessiert sind wie sie selbst. Aufheben machen, Werte erkennen, Lebenslinien miteinander verschlängeln sind die Tugenden der gelernten Druckerin und studierten Künstlerin, die auf der Torgauer Straße 24 ein altes Schaufenster belebt.
Zu diesem Umstand kam es, weil Verbote kreativ machen. An der HfbK war es nicht gestattet, nach 23 Uhr zu arbeiten. Für Nachtaktive ein hartes Los. Conny, die damals in Mickten wohnte, ging auf Pirsch und fand das leerstehende Fleischereigeschäft. Sie ahnte die Schätze, die unter Teppichboden und Leim schlummerten, sah einige Ausschnitte der gläsernen Decke blitzen und verliebte sich sofort. Im Sommer 2001 war es so weit und Conny bezog ihr neues Atelier. Zwei Monate lang legte sie im Schweiße ihres Angesichts mit Spachteln floral gemusterte Bodenfliesen und original weiße Wandkacheln frei und ging so der Geschichte des Ortes im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund.
Die ehemalige Fleischerei wurde zu ihrem Lebensmittelpunkt und zu ihrer Diplomarbeit. Eine vierdimensionale Plastik, ein Raum, den sie schuf, der sie schuf, in dem sie schuf und lebte. Sie gab der Arbeit den Titel „76 Kubikmeter“. An der HfbK hing ein kleiner Schaukasten, der zur Präsentation von der „Zitronenpresse“ nach Pieschen lockte. Die Fleischerei wurde von der Ausgrabungsstätte zum Anlaufpunkt für Nachbarn, Freunde und Künstlervolk. Connys riesiger Mastiff-Rüde Dr. Radonski, der andere Hunde gern mit einem vor dem Laden platzierten Süßholz köderte, war viele Jahre lang Blickfang und Aushängeschild.
So ging es eine Handvoll Jahre. Das seltene Datum des 6.6.2006 rückte näher und Conny, die eine Freundin der Finsternis ist, überlegte, was an so einem Jahrhunderttag zu tun sein. Kinder bekommen? Heiraten? Sterben? Sie beschloss eine Galerie zu eröffnen. Sie hatte ihren Wohnsitz an den Großenhainer Platz in eine Wein- und Geheimnis umrankte Villa verlagert und eröffnete am magischen Datum ihre Galerie Knark-Art. Das war der Startschuss für einen verblüffenden Marathon: Sechzig Monate lang fand jeden Monat eine Vernissage statt. „Frag mich nicht, wie ich das geschafft habe …“
Das große Finale mit dem Titel „Knark-Art-Zapfenstreich“ fand 2011 mit 36 KünstlerInnen in der Krautwaldfabrik statt. Diese steht seit 2012 nicht mehr. Aber eine Seite von Connys Schaufenster ist der Fabrik und ihren Relikten gewidmet. Knallrot ruhen dort Gipsformen in der Auslage und erinnern an den Ballsaal, in dem Maschinen zur Herstellung von Party-Papptellern und Bockwurst-Pappschalen gefertigt wurden. Conny verschenkt die Formen und schickt Erinnerungen an die Krautwaldfabrik und das Wirken des Künstlerkollektivs Metropole Pieschen hinaus die Welt. Auch ich fahre im strömenden Regen mit einem massiven roten Wurstpappen-Negativ im Fahrradkorb nach Hause. Ein schwerwiegendes Geschenk. „Da mussten alle durch!“, sagt Conny und winkt in die Nacht.
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