Der Spätkauf Mole auf der langen Leipziger Straße hat innerhalb eines Jahres erreicht, was viele anstreben und manche nie erlangen: Kultstatus. Aus einem Ottonormal-Späti mit Bierkisten bis unter’s Dach zauberten die Geschäftsführer Tim und Chris eine gemütliche Mixtur aus Tante-Emma-Laden, Galerie, Eckkneipe und Club.
Aus dem alten Inventar wurde das Beste übernommen (unter anderem Tim) und mit vielen Details zu einem Lieblingsort aufgebrezelt. Eigens gebrautes Bier (Mole kühl), Klamotten, regionale Produkte und Konzertreihen wie Mole unplugged oder Zauberwelt der Töne ergänzen das Sortiment über das Wegbier oder das fehlende Stück Butter am Sonntag hinaus. Und der Laden läuft. Auch unter dem schwebenden Damoklesschwert der Behördenauflagen.
Ich kann von mir behaupten, einen Spätshop noch nie so früh betreten zu haben. Die Barhocker strecken alle Viere nach oben, es riecht nach Räucherstäbchen und die Mittagssonne vergoldet die Staubpartikel in der Luft. Aus dem Radio röhrt Faber und Chris macht es sich mit einem Kaffee am hohen Tisch bequem. „Reingerutscht“ sei er in diesen seinen neuen Job, erzählt er, der vorher in der Druck- und Medienbranche tätig war. Er kündigte, nahm ein Jahr lang Auszeit mit Garten und wurde schließlich in der Mole angespült, wo Tim arbeitete und das gern auch weiter tun wollte. Die Zahlen verhießen nichts Gutes, aber man war sich einig: „Wenn man was macht, kann das was werden.“
Gängige Marken (aber nicht alle) wurden gegen regionale eingetauscht. Kolle kostet hier absichtlich zwanzig Cent weniger als Club Mate. „Manchmal muss man misstrauische Kunden erst anfüttern“, sagt Chris. Im besten Fall trifft Konsumkritik auf Geschmacksnerven. Die Speisenfolge auf der Tafel beschränkt sich auf Tiefkühlpizza, Schokoriegel, Nüsschen und Bier und folgt damit der französischen Bistro-Tradition, die flüssige der festen Nahrungsausgabe vorzieht.
Andere Saiten zogen die Jungs nicht nur in den Regalen auf. Nach 22 Uhr herrscht Telefonverbot. Mittlerweile rügen die Eingeweihten die Frischlinge. Die Idee geht auf: persönlicher Austausch und Unterhaltung. „90 Prozent unserer Gäste haben kein Facebook“, sagt Chris. Es gibt Stammgäste wie die Herren-Skatrunde und hereinschneiende Limo-Philosophen. Barfliegen treffen auf Musiker, Nachbarn auf Spaziergänger. Die Wände zieren wechselnde Werke verbandelter KünstlerInnen. Netzwerken heißt das etwas zu technisch anmutende Wort für das, was da allabendlich in der Mole passiert. Hier in der Pieschener Hafenluft ergeben sich kreative Kooperationen, die Früchte tragen und als Obstsalat wieder in der Mole landen. Bei einem frisch gezapften Mole kühl verschwatzen sich die Stunden.
Die Mole bringt Viertelbewohner enger zusammen und zeigt auf Grundlage der gemeinsamen Schnittmenge Bier weitere auf. „Wir wollen, dass die Leute sich nicht einfach im Späti verabreden, sondern in der Mole“, erklärt Chris. Bei den Konzerten quetschen sich gut und gern mal 50 Leute in die kleine Spelunke. Bei Rap in the box vergangenen Sommer kamen 150 weitere Gäste dazu, die vor der Tür standen. Es blieb friedlich und fröhlich. Die Nachbarn, erzählen Tim und Chris, seien bisher immer gnädig gewesen. Oder selber dabei.
„Als wir anfingen dachten wir: Wir probieren es einfach. Wenn es nicht klappt, schmeißen wir eine große Abschlussparty und dann ist es eben vorbei“, sagt Chris. Der Wind weht allerdings aus einer anderen Richtung und strafft die Segel. Die Verzierung der Hausfassade durch Dresdner Graffitikünstler wurde von der Stadt genehmigt und soll bis zum Stadtteilfest Sankt Pieschen abgeschlossen sein. Im Schaufenster nebenan stellt ein Freund aus, der alte Lampen stilvoll aufmotzt. Schön wäre als Durchgang zur Sommerterrasse noch eine gläserne Schiebetür, sagt Tim schwärmerisch.
Visionen dieser Art zeugen von Zuversicht in das Projekt. Die Mole hat geankert und breitet sich aus. „An guten Ideen hapert es nicht“, bestätigt Chris. Eine echte „Luftnummer“, die zog, war beispielsweise die Idee, Pieschener Hafenluft in Einmachgläsern unter’s Volk zu bringen. Was als Gag begann, avancierte zum beliebten Mitbringsel. Die Mole trifft mit traumwandlerischer Sicherheit die schrägen Töne. Und alle summen mit.
Erfahrungen sammeln die Mole-Besitzer tapfer mit Behörden und Auflagen. Es ist ja immer wieder erstaunlich, was man alles falsch machen kann, wenn man einen Schuhkarton mit Getränken und Musik betreibt. Zettelkram und Anträge sind der Wermutstropfen im Pils vom Fass. In zehn Jahren werdet ihr wohl an eurem Jubiläum über solche Kinderkrankheiten lachen, sage ich. „Das wäre schön!“, erwidert Tim.
- Leipziger Straße 60
- Montag bis Donnerstag 19 bis 00 Uhr, Freitag und Sonnabend 19 bis 1 Uhr, Sonn- und Feiertag 14 bis 00 Uhr
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