In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die industrielle Entwicklung Dresdens immer rasanter Fahrt auf. Die Stadt lief Gefahr, ihren Ruf als „Florenz des Nordens“ zu verlieren. Um dem Einhalt zu gebieten, war der Stadtrat „1866 in seinen Erörterungen so weit gelangt, daß er die Feststellung von Fabrikbezirken grundsätzlich beschloß.“ Nachzulesen in „Werden und Wachsen einer deutschen Großstadt“, verfasst 1904 vom Ratsarchivar Professor Dr. Otto Richter (1852-1922). Und weiter heißt es darin: „Aber die folgenden Beratungen wurden durch Krieg und seine Folgen verzögert und erst 1876 […] ernstlich wieder betrieben. Das nun endlich bearbeitete Ortsgesetz über die Feststellung von Fabrikbezirken trat unterm 5. Februar 1878 in Kraft.“
Im Ortsgesetz von 1878 wurde festgelegt, dass der Osten und Süden Dresdens von neuen Fabrikbauten generell ausgeschlossen bleibt, im Westen die Bebauung mit solchen nur im beschränkten Maße möglich ist, im Norden und Nordwesten dagegen einer weiteren Entwicklung als Fabrikbezirk keine Hindernisse im Wege stehen. Letztere Festlegung betraf in besonderem Maße die Leipziger Vorstadt. Diesen Namen trägt laut Ratsbeschluss vom 29. Oktober 1874 der 1866 nach Dresden eingemeindete Vorort Neudorf.
Als der städtische Rat das Ortsgesetz verabschiedete, stellte die saarländische Firma Villeroy & Boch in der Leipziger Vorstadt schon zwanzig Jahre lang Gebrauchsgeschirr aus Steingut her.
Der 1834 in der hessischen Kleinstadt Wächtersbach geborene Dr. phil. Karl Wilkens, von 1878 bis zu seinem Tode 1907 Direktor von Villeroy & Boch, schreibt in seiner 1906 verfassten „Denkschrift zur Feier des 50järigen Bestehens der Dresdner Steingutfabrik“ das Folgende: „Die von der Firma Villeroy & Boch erbaute Steingutfabrik in Dresden wurde im Juli 1856 in Betrieb gesetzt.“ Die Steingutfabrikanten Eugen Boch (1809-1898) aus Mettlach (Saarland) und Alfred Villeroy (1818-1896) aus Wallerfangen (Saarland) hatten 1841 ihre beiden Firmen sowie die in Septfontaines (Luxemburg,) dem Stammsitz der Familie Boch, unter dem Namen Villeroy & Boch vereint. „Da die Erzeugnisse der an der Saar nahe der französischen Grenze gelegenen Fabriken grosses Ansehen genossen und ihr Absatz darum sich immer weiter ausgedehnt hatte, beschloss die Firma, im Osten Deutschlands eine vierte Fabrik gleicher Art zu erbauen.“
Die Stadt Dresden, so Dr. phil. Karl Wilkens, wurde auserwählt, „…weil in deren Nähe Steinkohlen gewonnen wurden, welche zum Brennen der Steingutwaren dienen sollten und weil ausserdem in der Umgegend der benachbarten Stadt Meissen weissbrennender plastischer Ton vorkam.“ Hinzu kam der Standort in direkter Nähe zu den Transportwegen „Elbe und Leipzig-Dresdner Eisenbahn“, welche „…durch Nebengleis es erlaubte, Rohstoffe und Waren ein- und auszuführen.“
Zunächst wurden bei Villeroy & Boch verschiedenste keramische Produkte, ab 1903 vorrangig Sanitär- und Haushaltkeramik sowie Zubehör für Wasserleitungen hergestellt. In den Jahren bis 1945 war die Steingutfabrik einer der wichtigsten Arbeitgeber auch für den Dresdner Nordwesten.
Trotz Demontage des beim Bombenangriff im Herbst 1944 und April 1945 teilweise zerstörten Werkes, konnte 1946 wieder mit der Arbeit begonnen werden. 1948 wurde Villeroy & Boch volkseigen und produzierte als VEB Steingutfabrik Dresden, ab 1965 als VEB Sanitärporzellan Dresden, vor allem Toiletten- und Waschbecken. Mit dem Beitritt der DDR zur BRD im Oktober 1990 wurde der Betrieb „abgewickelt“ und 1992 als Sanitärporzellan-Dresden GmbH der DURAVIT AG angeschlossen. Selbige eröffnete 1994 in Meißen ein Zweigwerk. Ende Dezember 1994 war der Umzug des Dresdner Werkes nach Meißen abgeschlossen.Unmittelbar danach wurde im Auftrag des Investors für das Gelände, der Gesellschaft für Gewerbebauten und Einkaufszentren in Ahrensburg bei Hamburg, das abgerissen, was vor 162 Jahren mit der Steingutfabrik Villeroy & Boch begonnen hatte.
In den Folgejahren gab es für die künftige Nutzung der Industriebrache eine Reihe von Ideen, die bisher alle scheiterten.
Seit 2010 aber, dem Jahr, als der Masterplan Leipziger Vorstadt/Neustädter Hafen vorgestellt wurde, ist sie, wie der „Alter Leipziger Bahnhof“ und der „Neustädter Hafen“ auch, in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Die überarbeitete Masterplan-Vorlage sieht auf dem einstigen Standort des VEB Sanitärporzellan unter dem Namen „Quartier 9 – Wohnpark an der Orangerie“ Potenzial für den Bau von 310 Wohnungen mit starker Durchgrünung und Nutzergärten.
>> zum Archiv von Brendler’s Geschichten
2 thoughts on “Brendler’s Geschichten: Villeroy & Boch und der Fabrikbezirk Leipziger Vorstadt”
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auf dem Gelände wurde ein Kindergarten betrieben, in den ich einen meiner Söhne bringen konnte.
… ich war dort und die Orangerie war der Schlafsaal :-)
war en schöne Zeit