Dumm gelaufen. Es war bereits kurz vor 23 Uhr, als der Kooperation aus Linke, Grünen, SPD und Piraten gestern im Stadtrat genau eine Stimme fehlte, um eines ihrer Prestigeprojekte in trockene Tücher zu bringen – die Direktwahl der Stadtteilvertretungen. Verpackt war das ganze in den Tagesordnungspunkt 11 mit dem sperrigen Namen „Satzung zur Änderung der Hauptsatzung“. Eine deutliche Stärkung der Ortsbeiräte durch die Übertragung von mehr Rechten, die Ausstattung mit einem ordentlichen Budget und die eben die Direktwahl waren die Eckpunkte des Vorhabens. Für die Einführung der Direktwahl musste die Hauptsatzung, das ist so etwas wie die Grundverfassung einer Gemeinde, geändert werden. Die Sächsischen Gemeindeordnung schreibt vor, dass dafür „die Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder des Gemeinderates“ erforderlich ist. Bei 70 Stadtratsmitgliedern liegt die erforderliche Mehrheit bei 36 Stimmen. Rot-Grün-Rot verfügt gemeinsam über 37 Sitze. Das Abstimmungsergebnis lautete: 35 Ja-Stimmen, 24 Nein-Stimmen, 7 Enthaltungen. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) hatte die zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung aus dem zuständigen Stadtratsausschuss aus neun Punkten, wie gefordert, Punkt für Punkt abstimmen lassen. Nur beim wichtigen Punkt 5 fehlte eine Stimme. Alle anderen acht Punkte hatten mindestens 36 Ja-Stimmen erreicht. Am Ende sagte Hilbert: „Damit wäre der Beschluss zum Tagesordungspunkt 11 gefallen.“ Ob ihm eine Stunde vor Mitternacht klar war, was genau das bedeutet, ist nicht sicher.
Heute jedenfalls glühten die Drähte, wurde diskutiert und am Ende herrschte Gewissheit. „Wir haben den Oberbürgermeister darauf hingewiesen, dass die geforderte Änderung der Hauptsatzung keine Mehrheit hat. Er hat zugesagt, dass er sich kümmert“, erklärte Dana Frohwieser, Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion. Weil abzusehen war, dass es zu diesem Tagesordnungspunkt eine längere Debatte geben wird, wollte man ihn vorziehen und die Beratung bereits um 20 Uhr beginnen. Das habe aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. „Es kann schon mal passieren, dass die Konzentration dann nachlässt“, sagte sie mit Blick auf den späten Abstimmungszeitpunkt. Alle hätten einen Arbeitstag hinter sich und würden danach hier als Ehrenamtler sitzen.
Auch Jens Matthis von der Linke-Stadtratsfraktion geht davon aus, dass die beabsichtigten Änderungen der Hauptsatzung vom Oberbürgermeister noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden. Es gehe nicht nur um die Direktwahl der Stadtteilvertreter, sondern auch um mehrere notwendigen Anpassungen an die sächsische Gemeindeordnung. Die nächste Stadtratssitzung – es ist die letzte vor der Sommerpause – findet am 28. Juni statt und wird bei Bedarf bis zum 29. Juni verlängert.
Vor der Abstimmung haben die Stadträte, teils mit viel Inbrunst, über die beabsichtigte Reform der Stadtverfassung debattiert. Jens Matthis (Linke) hatte die Eckpunkte des rot-grün-roten Projektes genannt. Die Vertretungen in den Stadtteilen sollten so viel wie möglich Entscheidungsbefugnisse übertragen bekommen, über ein ernstzunehmendes Budget dafür verfügen können und es sollte ein Signal an die Landesregierung gesandt werden, die Gemeindeordnung noch einmal zu ändern. Für Johannes Lichdi von den Grünen ist die Direktwahl ein „riesiger Schritt in Richtung Revitalisierung der Demokratie“. Vor allem kleine Parteien oder Wählervereinigungen hätten so die Chance, in den Stadtteilen mitzubestimmen. Für die AfD stimmte Harald Gilke der Übertragung von mehr Rechten an die Bürger zu. Das sei eine Kernforderunge seiner Partei. Allerdings halte er die Einführung der Direktwahl bereits im kommenden Jahr für „nicht umsetzbar“.
Ganz gegen die Direktwahl argumentierten für die CDU deren Fraktionschef Jan Donhauser und Hans-Joachim Brauns. Der hohe organisatorische und personelle Aufwand sei nicht zu rechtfertigen, sagte Donhauser. Zudem hätten 60 Prozent der Ortsbeiräte die Direktwahl abgelehnt. Brauns wies darauf hin, dass die Übertragung von mehr Rechten und eines Budgets an die Stadtteilvertretungen nicht an die Direktwahl gekoppelt sei. Für Martin Schulte-Wissermann, Piraten-Stadtrat und Mitglied der Linke-Fraktion, führe die Direktwahl bei den Gewählten zu einem „ganz neuen Selbstbewusstsein und sorgt auch dafür, dass der Gewählte mehr Verantwortung fühlt“. Schließlich treffe er seine Wähler beim Bäcker, im Supermarkt oder einfach auf der Straße, meinte er.
Während der Einführung der Direktwahl ab 2019 gestern die erforderliche Mehrheit fehlte, fand die Ausstattung der Stadtteile mit einem Budget von 25 Euro pro Einwohner und Jahr sowie die Übertragung von deutlich mehr Kompetenzen die Zustimmung im Stadtrat.
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