87 Mitglieder hat die SPD Pieschen. Sie können an dem Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag teilnehmen. Knapp 30 von ihnen sind seit Januar neu hinzugekommen. Sie gehören zu den bundesweit etwa 25.000 Neumitglieder, die seit dem Streit um #Groko oder #NoGroko in die SPD eingetreten sind. Gestern Abend hatte Stefan Engel, Vorsitzender des Ortsvereins, die Mitgliedsbücher für die Neuen dabei und musste gleich berichten, dass ein Teil mit alten Exemplaren aus den 90er Jahren Vorlieb nehmen muss. Die sehen aus wie rote Oktavhefte und als Adresse der Bundes-SPD ist noch das Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn angegeben. Die neuen Mitgliedsbücher mit dem festen Leineneinband hätten für die vielen unerwarteten Neugenossen nicht ausgereicht.
Obwohl der Vorstand der Dresdner SPD sich schon vor vier Wochen gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen hatte, Engel ist im Vorstand für die Mitgliedergewinnung zuständig, ist die Meinung im Pieschener Ortsverein nicht einhellig. Thomas Früh, seit 42 Jahren SPD-Mitglied, wird für den Koalitionsvertrag stimmen. Allerdings müssten Solidarität und der Umgang miteinander wieder deutlich besser werden. „Und wenn es eine Minderheitsregierung gibt, dann haben wir im Bundestag eine Mehrheit, die rechts ist“, fügte er hinzu. Für Thomas Scheinert sind Personal und Inhalte nicht so einfach voneinander zu trennen. „Personen spielen immer eine wichtige Rolle“, sagte er. Darum sei er um Moment „eher gegen den Koalitionsvertrag“. Johannes Eikerling findet die Debattenkultur schlecht. „So wie jetzt diskutiert wird, schaden wir uns bis ins Mark“, erklärte er. Walter Kühne, Stellvertretender Vorsitzender im Ortsverein, findet, dass der Koalitionsvertrag für Ostdeutschland viel Gutes enthält. Zudem müsse die SPD nicht in der Opposition sein, um sich erneuern zu können, meinte er. Der Anteil der SPD an dem wirtschaftlichen Aufschwung in den vergangenen vier Jahren werde viel zu wenig hervorgehoben.
Alexandra Paul gehört zu den neuen SPD-Mitgliedern. „Ich habe mich gefragt, ob sich die SPD-Frauen vielleicht an einem anderen Tag treffen“, sagte sie leicht ironisch. Nur zwei der knapp 20 Teilnehmer gestern Abend waren weiblich. Sie habe den Schritt in die SPD gewagt, „weil in der Partei etwas in Bewegung ist“. Es sei gut, dass so viel diskutiert wird und man der Parteiführung widersprechen kann. „Das hat mein Interesse geweckt“, sagte sie, rechnet aber mit einem bundesweiten Ja für den Koalitionsvertrag.
Für Falk Schütze war der Mitgliederentscheid ausschlaggebend für den SPD-Eintritt. Wenn die Groko nicht zustande komme, gebe es keine Chance, SPD-Positionen in der Bundespolitik durchzusetzen, habe er oft von Kollegen und Bekannten gehört. Ihn selbst hätten vor allem die Ergebnisse zur Digitalisierung und der Verkehrs- und Energiewende nicht überzeugt. Gute Chancen für eine bessere Debattenkultur im Bundestag verspreche er sich von einer Minderheitsregierung, sagte Schütze. Hier stimmte ihm ein weiteres Neumitglied zu. Mehr politische Auseinandersetzung im Bundestag würde die erzielten Kompromisse in der Öffentlichkeit transparenter und nachvollziehbarer machen. Auch Frank Fiedler findet Gefallen an einer Minderheitsregierung, „selbst dann, wenn sie nicht vier Jahre hält“. Allerdings, so sagte er, sieht er eine Erneuerung der SPD mit dem derzeit in der Öffentlichkeit stehenden Personal eher skeptisch.
Ortsvereinsvorsitzender Engel machte aus seiner Ablehnung des Koalitionsvertrages keinen Hehl. Es sei nicht gelungen, die drei vom SPD-Parteitag beschlossenen Ergänzungen erfolgreich zu verhandeln. Während man bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen noch von Teilerfolgen sprechen könne, habe es beim Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge und der Zwei-Klassen-Medizin keine Verhandlungsfortschritte gegeben. Die Auseinandersetzung um die Groko habe die innerparteiliche Debatte belebt. „Bei mir haben sich Mitglieder gemeldet, von denen ich schon lange nichts mehr gehört hatte“, sagte Engel.
Ab kommenden Dienstag können die SPD-Mitglieder über den in Berlin ausgehandelten Koalitionsvertrag mit CDU und CSU abstimmen. Die Frage auf dem Stimmzettel des verbindlichen Mitgliedervotums lautet: „Soll die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den mit der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen-Union (CSU) ausgehandelten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 abschließen?“ Dann muss sich jeder für „Ja“ oder „Nein“ entscheiden. Alle anderen Stimmzettel sind ungültig. Unbedingt hinzu gefügt werden muss die eidesstattliche Erklärung, dass man den Stimmzettel persönlich ausgefüllt habe.
In dem dicken Brief, den die Berliner Zentrale alle SPD-Mitglieder verschickt, steckt eine Sonderausgabe der SPD-Zeitung „Vorwärts“ mit dem Abdruck des kompletten Koalitionsvertrages. Auch die Umschläge, um Stimmzettel und eidesstattliche Erklärung zurückzuschicken, sind vorbereitet. In den blauen kommt der Stimmzettel. Zusammen mit der eidesstattlichen Erklärung kommt dieser in den roten, bereits adressierten Umschlag. „Bitte freimachen, falls Marke zur Hand“ – darum wird dort noch höflich gebeten. Am 4. März sollen die Ergebnisse der Mitgliederbefragung veröffentlicht werden.
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