Die Kinder sind begeistert. Sie zählen den Countdown und dann schneiden Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) und Ortsamtsleiter Christian Wintrich endlich das Band durch. Dann gibt es für die Kleinen aus den Kitas Concordia und Moritzburger Straße kein Halten mehr. Der rote Asphalt, die Trampoline, Schaukeln und der Tischkicker werden umgehend in Besitz genommen. Für die Tischtennisplatte sind sie noch zu klein – außerdem ist es sowieso zu windig heute. Was zählt ist, dass die Pieschener Melodien seit heute für die öffentliche Nutzung freigegeben sind.
Die Landschaftsarchitekten Michaela Noack und Christoph Ullmann sind zufrieden. „Es ist so geworden, wie wir das wollten“, stellten sie beim Rundgang über das fertiggestellte Areal fest. Etliche Bäume wurden erhalten, obwohl unter den Grünflächen und Wegen alle Grundstücke für den späteren Wohnungsbau komplett erschlossen wurden. Das sei auch eine Meisterleistung des beteiligten Ingenieurbüros gewesen, sagte Firmenchefin Noack. Das rot-weiße Farbkonzept der Landschaftsplaner findet sich im Asphalt und den weißen Eingrenzungen und Fahrradbügeln wieder. Bei den weiß und rot blühenden Pflanzen ist noch etwas Geduld gefragt.
Die Idee, mit einem gemeinsamen Stadtraum, shared space genannt, zu experimentieren, kam aus dem Stadtplanungsamt. Das deutsche Verkehrsrecht kennt keinen shared space, sagt Schmidt-Lamontain und ist nun auf den Verlauf des Experimentes gespannt. Er zollte allen Beteiligten Respekt, dass sie trotz vieler Widerstände inklusive einer sonst sehr autozentrierten Planung, über die Jahre an dem Projekt festgehalten haben. „Toll, dass dieses Konzept der gemeinsamen, gleichberechtigten Nutzung öffentlicher Fläche endlich auch in Dresden angekommen ist“, freute sich die Pieschener Grünen-Stadträtin Kati Bischoffberger bei der Eröffnung. „Diese Art von Verkehrsraumgestaltung erhöht die Aufenthaltsqualität und sorgt dafür, dass das Leben der Menschen wieder mehr auf der Straße stattfinden kann“, betonte sie und fügt hinzu. „Kinder haben Platz zum Spielen , durch Grünanlagen und Sitzgelegenheiten entsteht ein sozialer Raum für Begegnungen im Quartier.“
Den wollen die beiden Kitas von nebenan auch nutzen. Erzieherin Bettina Weber aus der Kita Concordia ist überzeugt, dass die Kinder viel Spaß mit den neuen Herausforderungen haben werden. „Diese Schaukeln und Trampoline haben wir nicht auf unserem Spielplatz“, sagt sie. Das sei schon etwas Besonderes für die Kinder. Kathleen Krolow, seit drei Jahren Kita-Chefin in der Moritzburger Straße, stimmt da voll zu. Die geschwungenen Wege würden viel Platz für die Kinder bieten, auch der Tischkicker werde sicher immer umlagert sein.
Unter dem Straßenschild Hedwig-Langner-Weg haben sich zwei ihrer Urenkel eingefunden. Hansjochen und Tassilo Langner sind Cousins und haben ihre Urgroßmutter, die 1945 gestorben ist, nicht mehr kennengelernt. Aber sie freuen sich, dass ihr Andenken auf diese Weise geehrt wird. Hedwig Langner, 1870 geboren, hatte am 1. Oktober 1894 ein Spielwaren- und Seifengeschäft mit Puppenklinik in der Bürgerstraße eröffnet, das von Hansjochen Langner, dann bereits in vierter Generation, bis 2015 weitergeführt wurde. Jetzt werden die Geschäftsräume vom Fahrradexperten Elberad genutzt. Auch die anderen Straßen und Wege, so erinnerte Ortsamtsleiter Wintrich, hätten Bezug zur Stadtteilgeschichte. So erinnert die Rosa-Steinhart-Straße an eine 1885 geborene und 1943 ermordete Jüdin aus Trachenberge. Der Neudorfer Weg verweist auf die Siedlungsgeschichte. Neudorf war eine bis 1866 bestehenden Ansammlung von 50 Gehöften an der heutigen Moritzburger Straße. 1546 waren hier die ersten 29 Familien hergezogen, weil sie dem Bau neuer Befestigungsanlagen in der Stadt weichen mussten.
Grüne-Stadträtin Bischoffberger hofft auf nun auf Nachahmer. „Ich wünsche mir auch innerhalb anderer Quartiere in der Stadt eine weitverbreitete Verkehrsberuhigung in dieser Art. Gleichberechtigung und gegenseitige Rücksichtnahme im öffentlichen Raum sind für mich Kernthemen des gesellschaftlichen Miteinanders.
Das Areal, das die Pieschener Melodien zwischen Moritzburger Straße und Konkordienplatz erschließen, wird sich in den nächsten Jahren noch deutlich verändern. Durch die Neuordnung der Flurstücke gemeinsam mit den Eigentümern sind 21 Baugrundstücke entstanden. Fast alle Eigentümer wollen hier in nächster Zeit Wohnungen errichten. Der Stadtteil, so Ortsamtsleiter Wintrich, entwickle sich weiter und sei „noch nie so schön, bunt und herausragend wie in diesen Tagen gewesen“.
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