Der 4. Advent ist in Pieschen reserviert für den Adventsmarkt an der Markuskirche, und den darf man mit der gestrigen 4. Ausgabe nun guten Gewissens als „traditionell“ bezeichnen. Und als etwas Besonderes. Nicht nur wegen des Namens, des gemütlichen Ortes und seines kindlichen Alters. Sondern vor allem, weil man sich hier eben kennt. Aller paar Schritte grüßen sich Besucher gegenseitig, sagen Hallo zu Standbetreibern, und auch die Verkäufer untereinander sind vertraut.
„Laura, schmeckt’s? Ich hör dich gar ni schmatzen!“ Breit grinsend ruft Mario zum Nachbarstand hinüber, nachdem er der jungen Frau eine Portion seines Kesselgulaschs ausgegeben hat. Von nebenan nickt’s, der Koch ist zufrieden. Gemeinsam mit seinen Haus-Mitbewohnern Regine, Dieter und Bettina aus der Osterbergstraße 12 ist Mario zum dritten Mal dabei. Die vier verkaufen neben dem Eintopf auch Walnüsse von ihrem 70 Jahre alten Baum. „Den hat mein Bruder gepflanzt, der war damals zehn Jahre alt“, erzählt Dieter. Alle am Stand sind von der Qualität der Nüsse überzeugt: „Eigene Ernte schmeckt eben besser als gekoofte. Und wenn ‘ne komische dabei ist, dann wird umgetauscht“, versprechen sie schmunzelnd. Wie die meisten Standbetreiber sind die „Osterberger“ über „Mund-zu-Mund-Beatmung, äh, -Propaganda“ (O-Ton), also über persönliche Kontakte zum Pro Pieschen e. V., zum Adventsmarkt gestoßen.
Mehrere Pieschener Hausgemeinschaften waren die ersten Standbetreiber, lokale Geschäfte und Ateliers seien erst später dazugekommen, erzählt „Marktleiter“ Ricardo Schwarz, außerhalb der Weihnachtszeit Maler mit Atelier in der Leisniger Straße. Entstanden sei der Markt 2013, „weil ich meine große Klappe nicht halten konnte“, lacht der junge Mann mit den roten Haaren. Wie schön es doch wäre, einen kleinen Weihnachtsmarkt im Stadtteil zu haben, habe er bei einem Orga-Treffen für den „Advent in Pieschen“ geäußert. Der Kirchenvorstand reagierte mit „Wenn ihr das organisiert, könnt ihr den Kirchenvorplatz nutzen“, und schwuppdiwupp hatte der Endzwanziger den Chefposten inne. Nun koordiniert er alljährlich das reichliche Dutzend Stände, schenkt nebenher Glühwein aus und bringt Gebäck unter die Leute. Die Standgebühr für jeden Teilnehmer beträgt nämlich 15 Euro und einen Kuchen. Die Süßigkeiten werden dann zugunsten der Markuskirche verkauft, um die Stromkosten zu decken.
Die Kirche selbst öffnet ebenfalls ihre Türen und bietet allerlei Programm, beispielsweise Turmblasen mit unsichtbaren Musikern. Weil die Öffnungen im Kirchturm mit Holzlamellen verkleidet sind, hört man den Posaunenchor der Laurentiusgemeinde nur, sieht ihn aber nicht. Umso besser konnten junge und ältere Besucher dem Organisten René Plath (http://orgel-in-bunt.de) über die Schulter und auf die nackten Füße schauen und auch selbst mal in die Tasten greifen.
In der beginnenden Dämmerung zog schließlich der Dresdner Künstler Frank-Ole Haake (http://www.ole-bildermensch.
Der Verein deutsch-kurdischer Begegnungen und Pro Pieschen e. V. warben an ihrem Stand für Familienpatenschaften für Kurden und sammelten Spenden für eine Familie aus dem Kosovo, die nach zwei Jahren in Pieschen nach Pristina zurück musste. „Die Eltern und ihr Sohn sind im Herbst in einer Nacht- und Nebel-Aktion abgeschoben worden, der Vater mit den Händen in Kabelbindern“, erzählt Bärbel Jansen, eine der Engagierten. „Dabei hatte der Mann einen Arbeitsvertrag, hätte als Bauhelfer arbeiten können. Die Frau war Analphabetin, ich habe ihr Lesen und Schreiben beigebracht“, so die ehemalige Lehrerin. „Jetzt ist sie ganz stolz, weil sie ihren Namen schreiben kann. Das waren fröhliche Leute, aufgeschlossen und integriert, und jetzt werden sie langsam depressiv, weil sie gar nichts mehr haben. Deshalb wollen wir sie langfristig mit 200 Euro im Monat unterstützen und außerdem Hilfe zur Selbsthilfe ankurbeln. Die Frau handarbeitet sehr schön und würde auf Auftragsbasis nähen und stricken.“ Einige ihrer Arbeiten bot der Verein an seinem Stand an.
Auch in den benachbarten Zelten konnten notorische Spätzünder noch handgemachte Weihnachtspräsente auf den letzten Drücker besorgen – von selbstgebastelten Windlichtern „vom Osterberg“ über Marmeladen, Teemischungen, Seifen und Quittenbrot aus den Gemeinschaftsgärten „Weltchen“ und „Aprikosengarten“ bis hin zu Selbstgetöpfertem, -geschriebenem und -gekeltertem.
„Marktchef“ Ricardo Schwarz war glücklich: „Es ist schön, dass die Leute den Markt mögen, dass sie alles miteinander organisieren und dass das auch nachwirkt. Die Menschen verbinden uns mit Pieschen, kaufen jetzt ganz selbstverständlich im Stadtteil ein.“ Im nächsten Jahr müssen sich die Veranstalter allerdings einiges Neues einfallen lassen: Dann wird Pieschen 725 Jahre alt, der „Advent in Pieschen“ zehn und der Adventsmarkt fünf. Der Adventsmarkt muss jedoch an einem anderen Dezember-Sonntag stattfinden: Der 4. Advent ist 2017 für Heiligabend reserviert.
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