Mit der Besetzung haben wir nichts zu tun. Das sagen Vereins-Vize Jesse Langley und Vereinsmitglied Jacqueline Muth, Linke-Stadträtin, übereinstimmend. Der Verein habe das Gelände heute Morgen gegen 8.00 Uhr an den Gerichtsvollzieher übergeben. Auch der Rechtsanwalt von Dresden Bau sei da gewesen. Die jungen Leute, die seit dem Morgen zwei Dächer besetzt halten, seien Sympathisanten und wollen gegen den Verlust eines Freiraum-Geländes protestieren.
Matthias Hartmann, der für das Gebiet zuständige Gerichtsvollzieher, sieht die Sache anders. „Eine ordentliche Übergabe hat es nicht gegeben“, sagt er im Gespräch und verweist für alle weiteren Auskünfte an das Amtsgericht. Hartmann ist im Auftrag der Eigentümer – der Erbengemeinschaft Grumbt – da, um die Zwangsräumung zu vollstrecken.
Dachbesetzer und Abrissbagger
Dem Aufruf der Gruppe Camp X zum Protestfrühstück waren mehr als einhundert Freiraum-Elbtal-Unterstützer gefolgt. Am Puschkinplatz gibt es den ganzen Tag Musik – auch live – und Verpflegung. Einige Bilder und andere Exponate der Freiraum-Bewohner sind ausgestellt. Auch die Bilderwand mit der Vereinsgeschichte. Von der anderen Straßenseite aus bringt Maler Helmut Otto Rabisch die Szene auf die Leinwand.
Als die Polizei, rund einhundert Beamte sind am Einsatz beteiligt, auf das Gelände vorrückt, um es von Protestierenden zu räumen, sind zwei Dächer besetzt. Acht junge Leute lassen sich ohne Widerstand von einem etwas flacheren Gebäude heruntertragen. Personalien werden aufgenommen, Platzverweise ausgesprochen. Die Polizeibeamten machen einen ruhigen und sehr besonnenen Eindruck. Sie sind mit Leitern, Äxten und anderem Werkzeug ausgerüstet, haben aber auch Schutzschilder dabei und Helme auf. Journalisten, Fotografen und Kameraleute verfolgen jeden Schritt. Auch der Gerichtsvollzieher und Mitarbeiter der Dresden Bau dokumentieren das Geschehen. Während das eine Dach geräumt wird, sammeln Freiraum-Sympathisanten Material auf dem Grundstück, um am Zugang zu dem anderen Haus, auf dessen Dach sich noch Besetzer halten, eine Barrikade zu errichten.
Gegen Mittag beginnt ein Bagger bereits mit Abrissarbeiten. Alte Garagen am Grundstücksrand werden sein erstes Opfer. Offenbar soll das Gelände schnell unnutzbar gemacht werden, um eine erneute Besetzung zu verhindern.
Das war unser Zuhause
Sarah Köhler und Martin Krellner stehen am Zaun und beobachten, was aus ihrem ehemaligen Zuhause wird. Die gelernte Krankenschwester hat von 2010 bis 2013 hier mit ihrer Tochter gewohnt. Außerdem hatte sie Pferde, mal zwei, dann drei und die Kinder lernten reiten und den Umgang mit den Tieren. Und sie konnten Verantwortung übernehmen, sagt die junge Frau. Als die Kündigung für das Gelände klar war, habe sie sich eine Alternative gesucht und ist jetzt auf einem Hof in Radeberg. „Aber der kulturelle Austausch fehlt, die Spielgefährten für die Kinder sind weg, und die Nähe zu allem, was die Stadt bietet ist auch nicht mehr da“, beschreibt sie die Situation. Sie habe damals als Krankenschwester gearbeitet und auf dem Gelände gewohnt. Es sei einfach furchtbar, dass es keinen Raum mehr für solche selbstverwalteten Projekte gibt.
Martin Krellner gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins und war lange dessen Schatzmeister. Angefangen hat alles in einem kleinen Schrebergarten nebenan. Dann haben wir gesehen, dass das ganze Grundstück leer steht, erzählt er. Ein Mietvertrag wurde abgeschlossen – 500 Euro pro Monat. Herr Vogel als Verwalter sei immer sehr loyal gewesen. Die Miete wurde bis ganz zum Schluss gezahlt. Wer hier wohnen oder arbeiten wollte, zahlte in der Regel 40 Euro. „Ich habe hier geheiratet und mit 200 Freunden gefeiert“, erinnert er sich. Das ist unvergessen. Für die drei Kinder sei dies ein wunderbarer Raum gewesen.
Krellner ist Holzgestalter. Seine Produkte findert man auf Spielplätzen oder Schulhöfen. „Auf dem Hof der 15. Grundschule in der Neustadt steht ein Bauwagen. Den habe ich hier in meiner Werkstatt ausgebaut“, sagt er. In besten Zeiten hätten hier 30 bis 35 Leute gewohnt und gearbeitet. Jede Woche habe man sich zum Plenum getroffen, um das Zusammenleben zu regeln. Wir haben demokratisch abgestimmt. Das Konsensprinzip, bei dem immer alle zustimmen müssen, wäre zu aufwändig gewesen. Auf dem Grundstück wurde ein Brunnen gebohrt, Strom verlegt. Alles in Selbstverwaltung und ohne Fördergelder. Der Holzgestalter hat sich inzwischen eine andere Werkstatt gesucht. Der gekündigte Mietvertrag und die Flut im Sommer 2013 gaben den Ausschlag. „Ich bin kein Don Quichotte“, meint er.
Kein Einlenken mehr
Vereinsvize Jesse Langley hat bis zum Schluss hier gearbeitet. Seit fünf Jahren stellt er in seiner Werkstatt Lampen und Möbel aus Sperrmüll und anderen Resten her. Das Dach seiner Werkstatt haben die Besetzer geentert. Die kleine Pacht hat den Vereinsmitgliedern „den Druck der Miete genommen“, meint er. So konnten sie frei von diesem ökonomischen Zwang ihren handwerklichen oder künstlerischen Interessen nachgehen.
Ein solches Angebot findet man nun nicht mehr in Dresden, bedauert Jacquline Muth. Sie ist völlig durchgefroren und ihre Stimme zittert beim Reden. Bis zum Ende habe man gehofft, dass die Erbengemeinschaft Grumbt einlenkt. Nach dem gerade im Stadtrat beschlossenen Planungsrahmen für das Gelände werde hier erst einmal nicht gebaut, ist sie sicher. In der Übergangszeit hätte man den Vertrag weiterlaufen lassen können. Sie sieht auch die Stadt in der Verantwortung. Weder bei der Suche nach Alternativen noch bei der Vermittlung zum Eigentümer hätte die Verwaltung geholfen. Grünen-Stadtrat Torsten Schulze hat die Räumungsaktion vor Ort verfolgt. Er findet es äußerst bedauerlich, dass das „größte Freiraum-Projekt gescheitert ist“. Überhaupt kein Verständnis für die heutige Aktion zeigt der sicherheitspolitische Sprecher der CDU-Stadtratsfraktion Lothar Klein. „Besetzungen fremden Eigentums – aus welch angeblich höheren Zielen auch immer – müssen beendet und dem Recht muss Geltung verschafft werden! Extremisten – von Links und Rechts – wünschen sich nichts sehnlicher als eine Kapitulation des Rechtsstaats“, erklärte Klein.
Spätestens als der Bagger anfängt, die ersten Gebäude niederzureißen, ist auch für die letzten Opimisten klar, dass es kein Einlenken mehr gegen wird. Das Aus für den Freiraum Elbtal an der Leipziger Straße 33a ist besiegelt.
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