Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ein Brautausstatter wird gebraucht. Auf der Oschatzer Straße. Herrenschneider Thomas Küchler näht zwischen 120 und 150 Hochzeitsanzüge im Jahr. Er hat sein Geschäft an der Ecke Leipziger Straße und Oschatzer Straße. Schräg gegenüber haben Susann Dahten und Thomas Augustin vor kurzem ihr Trauringstudio eröffnet. Im Nachbargeschäft, das sie mit angemietet haben, wird es bald Brautschuhe geben – spanische Modelle mit viel Tüll und Satin. Und Anzugschuhe, die man nicht nur zur Hochzeit anziehen kann. Zur nächsten Hochzeitsmesse wollen beide Geschäfte zusammen auftreten. Schon jetzt empfehlen sie sich gegenseitig die Kunden. Wenn das Weihnachtsgeschäft vorbei ist, setzen sie sich mit Silke Zimny zusammen. Die Konditormeisterin führt das Familiengeschäft an der Ecke Oschatzer Straße/Konkordienstraße. Sie zaubert Torten auf Bestellung und natürlich auch mehrstufige Hochzeitstorten. „Ein Brautausstatter würde perfekt hierher passen“, meinen die beiden Trauring-Experten.
Neuanfang contra Niedergang
Es scheint, als würde sich die Oschatzer Straße an der Ecke zur Leipziger Straße gerade neu erfinden. Ansonsten überwiegen ganz klar die schlechten Nachrichten. Seit zwei Jahren steht der große Schleckerladen leer, Radio-Lenk gegenüber ebenfalls. Ein Fleischerladen hat im Herbst aufgegeben, ein Getränke- und Zeitungsladen ebenfalls. Das Fahrradgeschäft Elberad zieht aus der Oschatzer Straße weg, bleibt aber in der Nähe auf der Bürgerstraße. Es zieht in die Geschäftsräume, in denen Hansjochen Langner gerade seine Spielwaren ausverkauft. „Alles muss raus“. Vieles ist schon raus, erinnert sich Langner und meint das eher symbolisch. Anfang der 90er Jahre hat er den Pieschener Gewerbeverein gegründet. „Da waren wir 86 Händler und Gewerbetreibende“, erinnert er sich. „Wenn ich heute mit meinem Nachfolger Uwe Sochor im Verein zusammensitze, dann sind wir fast schon vollzählig“, spitzt er die Entwicklung der letzten Jahre etwas zu.
Der Niedergang des Geschäftsviertel begann in den neunziger Jahren, als der Elbepark am Stadtrand und Karstadt im Zentrum das Viertel praktisch in die Zange nahmen. Globus, so meint Langner, würde den Todesstoß bedeuten. Mit dem Elberad-Fahrradgeschäft hat er einen Nachmieter gefunden. Da sei er sicher, dass das Zukunft hat. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass ein Spielzeuggeschäft die Miete nicht aufgebracht hätte. Die aber braucht er, ihm gehört das Haus. Und die Chancen für das Viertel insgesamt? „Ich sehe keinen Hoffnungsschimmer“, lautet das Urteil von Langner.
Die kleinen Geschäfte verschwinden, wenn wir uns nicht wehren
Geschäftsnachbar Uwe Sochor wird seinen Frankreichladen an der Straßenecke auch bald aufgeben. Er saniert ein altes Haus auf der Bürgerstraße und baut dahinter neu, um sich zu vergrößern. Sochor mobilisiert in der Allianz für Dresden gegen die Ansiedlung eines Globus SB-Marktes am alten Leipziger Bahnhof. Die Entwicklung in seinem Viertel liefert ihm fast täglich neue Argumente für dieses Engagement. „Wenn wir uns nicht wehren, verschwinden kleine Geschäfte sonst vollständig aus Dresdens Straßenbild, das Einkaufsangebot verflacht und wird immer uniformer“, sagt Sochor.
Auch Konrad Stransky vom Gewerbe- und Kulturverein Äußere Neustadt und Mitglied in der Allianz für Dresden warnt. „17 Prozent Umsatzverlagerung aus der Äußeren Neustadt hin zu Globus, wie prognostiziert, würde unweigerlich zu Geschäftsaufgaben führen“. Puppen Langner wäre damit nicht der Letzte, der aufgeben muss, meint er. Langner selbst meint rückblickend, dass eine der Ursachen für die Entwicklung Fehler der Stadtplanung waren. Man konnte sich nicht darauf verlassen. Jetzt sei der Elbepark fast doppelt so groß wie angekündigt.
„Mangelnder Sachverstand bei örtlichen Politikern“ sei ein Grund für viele Fehlentwicklungen, bestätigt Stadtentwicklungs-Experte Elmar Pfeiffer aus Würzburg. Ende November hat er im Haus der Kirche zum Thema „Dresden. Geordnete Stadtentwicklung ?“ referiert und mit den Teilnehmern diskutiert. Sein Urteil zum Thema Globus fällt eindeutig aus. Das Vorhaben schaffe in einem „hochgradig überbesetzten, hochgradig zentrenrelevanten Angebotsbereich“ bei den Lebensmitteln, zusätzliche Überkapazitäten und löse damit „hochgradige Verdrängungseffekte“ aus.
Fachgeschäfte werden gebraucht
Renate Talkenberg hat diesen Effekt in den letzten 25 Jahren beobachtet. Die 76-Jährige arbeitet seit 1962 im Betten- und Wäschehaus Chic in der Konkordienstraße, hat dort gelernt und als Verkäuferin gearbeitet, als das Geschäft noch als Betten-Wilhelm bekannt war. Dann hat sie es noch zu DDR-Zeiten übernommen. „Die HO soll mein Geschäft nicht bekommen“, hatte damals Inhaber Palitsch gesagt und ihr bei der Übernahme unter die Arme gegriffen. „Was uns hier fehlt, sind Fachgeschäfte“, meint sie. Unterwäsche, Mode, kleine Boutiquen – eben „etwas, das auf die Kunden anziehend wirkt“. Aber sie sieht auch, dass diese Geschäfte es schwer haben. Und selbst? Wir machen weiter, solange es geht. Aber, meint ihr 80jähriger Ehemann und Helfer im Geschäft, das könne auch mal ganz schnell zu Ende sein, wenn die Gesundheit nicht mehr mitspielt.
Die Aussichtslosigkeit, mit der Spielwarenhändler Langner die Situation beurteilt, wollen nicht alle so hinnehmen. Kati Bischoffberger, im Mai für die Grünen in den Stadtrat gewählt, befürchtet, dass so mancher Hausbesitzer die Läden zurückbaut, um Wohnungen daraus zu machen. Auf der Bürgerstraße sei dies bereits geschehen. Sie will mit ihren Fraktionskollegen prüfen, welche Fördermöglichkeiten für die Ansiedlung junger Unternehmen, Handwerker und Händler bestehen. Kleine Handwerksunternehmen müssten sich auch in einem Netzwerk gegenseitig mehr unterstützen. Die Malerin und Grafikerin weiß, wovon sie spricht. Sie kämpft selbst mit ihrem Geschäft auf der Oschatzer Straße um Kunden und Umsatz.
Selbst wenn Ideen da sind, wer soll sich darum kümmern? Heidi Geiler, Vorsitzende des Vereins Pro Pieschen, vergleicht das mit einem großen Einkaufscenter. Dort gebe es ein Center-Management, das für Ansiedlung und Ausgewogenheit bei den Branchen sorge. Eine Möglichkeit, mehr Bewegung in die Ansiedlung neuer Geschäfte zu bringen, sieht sie in Gesprächen mit den Hausbesitzern. „Wir müssen uns mit den Vermietern an einen Tisch setzen. Ohne ihre aktive Mitwirkung wird es nicht gehen“, ist sie überzeugt. Sie denkt dabei an eine „entspannte Zusammenkunft, ohne Vorwürfe und Druck“.
Zwischennutzung als Zwischenlösung
Etwa 15 Ladengeschäfte warten in der Oschatzer Straße, an den Ausfahrten rechts und links auf der Leipziger Straße und der Bürgerstraße auf neue Mieter. Der Fleischerladen ist inzwischen neu vermietet. Hier wird ein Pizzaservice einziehen. Makler Thomas Zuschlag, seit zwanzig Jahren in Dresden aktiv, findet, dass die Straße einen neuen Aufschwung verdient hätte. Zwei oder drei Anziehungspunkte müssten allerdings da sein, um Kunden zu locken, sagt er. Er kann sich auch für die Objekte, die er vermarktet, eine Zwischennutzung als Galerie vorstellen. Radio Lenk hat das vorgemacht. Hier stellt gerade Sarah Gosdschan Malerei und Federcollagen aus. Bei Radio Lenk und im Ex-Schlecker hat es schon mehrere Vernissagen und Ausstellungen gegeben. Aber mietfrei sei so etwas nicht zu machen, meint Zuschlag.
Sarah Dahten und Thomas Augustin spinnen derweil den Hochzeitsfaden weiter. In der Mohnstraße, keine zehn Minuten Fußweg von ihrem Geschäft entfernt, hat Daniel Mangatter sein Atelier. Er ist Hochzeitsfotograf aus Leidenschaft und gehört zum entstehenden Hochzeits-Netzwerk. Anzüge, Ringe, Schuhe, Fotos, Torten sind schon da. „Ein Brautausstatter in der Straße – das wäre geradezu phänomenal“, so die Hoffnung von Dahten und Augustin.
Wer gerade nicht über das Heiraten nachdenkt, hätte dennoch guten Grund, in der Oschatzer Straße vorbeizuschauen. Bei Silke Zimny gibt es Sachsens – gerade erst gewählten – besten Weihnachtsstollen.
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