Draußen rattern die Straßenbahnen, drinnen die Nähmaschine, getrennt sind sie durch ein Schaufenster. Es gehört zur Modista Hut- und Mützenmanufaktur, die diesen März von Bühlau nach Pieschen auf die Leipziger Straße umgezogen ist. Hier, im Reich des Handwerks, werden Kopfbedeckungen aller Art verkauft, ersonnen und repariert.
Leidenschaftlich kreativ
Königin dieses Reichs ist Katrin Westhäusler: blitzende braune Augen, die auf den ersten Blick in ein Gesicht sofort den passenden Hut dazu sehen, jahrelange Berufserfahrung und, vor allem, eine unbegrenzte Leidenschaft für das, was sie tut. „Ich lebe dieses Handwerk“, stellt sie klar, und eigentlich hätte sie das gar nicht sagen müssen, so offensichtlich wird es, wenn sie über ihre Arbeit spricht.
„Wenn ich an einem Hut arbeite, dann seh ich nur Hut, nichts anderes. Das ist fast wie Therapie“, erzählt die gelernte Modistin, die schon ihre Kindheit zwischen Nähmaschinen verbracht hat und die also quasi eine lebenslange Liebe mit dem Nähen verbindet. Mit der technischen Präzision und der Werkstoffkenntnis, aber auch mit der Fantasie, die sich immer wieder neu entdecken darf.
Das tut sie zum Beispiel anhand von Auftragsarbeiten von Leuten, die für einen bestimmten Anlass eine Kopfbedeckung suchen. Neben deren Vorstellungen fließen auch die Stoffe ein, die sie mitbringen: so kann der Streifen eines Kleides, das gekürzt werden musste, oder der Stoff, der für den maßgeschneiderten Anzug übrig war, als Hutband oder Mützenmaterial eine neue Bestimmung finden und nebenbei perfekt mit dem Outfit harmonieren.
Wünsch dir was
„Ich sag immer: ‚Wir sind hier bei Wünsch dir was‘“, lächelt Katrin und hat dabei einen Hut in der Hand, an dem sie gerade arbeitet und der, wie so viele andere, eine ganz eigene Geschichte erzählt: „Der ist für ein Paar, um die 65, die wohnen in einem kleinen Dorf und haben das Gothic-Treffen in Leipzig für sich entdeckt, von dem sie total begeistert sind.“ Auf das nächste Treffen werden sie bestens vorbereitet sein.
Andere Aufträge kommen von Privatpersonen oder Institutionen, die historische Hüte restaurieren lassen möchten. Dann befreit Katrin Hutbänder von Schimmel, arbeitet Innenfutter auf oder spannt die Seide eines uralten Klappzylinders neu. Auch Modelle mit weniger geschichtlichem, dafür aber emotionalem Wert durchlaufen unter ihren Händen lebensverlängernde Maßnahmen.
Wie der Panamahut, dessen Stroh an einer Bruchstelle löchrig geworden ist und nun mithilfe von Wasserdampf und Angelsehne gefixt werden muss. Denn dass man Panamahüte falten kann, gilt nicht für Länder mit so niedriger Luftfeuchtigkeit wie Deutschland, wie leider nicht ein jeder Träger, wohl aber die kundige Hutmacherin weiß.
Immer gut behütet
Weil aber diese Anfertigungen und Reparaturen Zeit erfordern und zudem ihren Preis haben, führt Modista auch „fertige“ Modelle ausgewählter Firmen im Sortiment. Schließlich haben Hüte neben dekorativen ja auch praktisch so einigen Nutzen, zum Beispiel den Schutz vor Sonne. So findet die Friedhofsgärtnerin ebenso den Weg hierher wie der vom Hautarzt ermahnte Senior mit lichter werdender Frisur.
Und eine besonders schutzbedürftige Gruppe: Patientinnen aus der Onkologie, die durch Bestrahlungstherapie ihre Haare verloren haben. Gut, dass die Ladeninhaberin, die doch so sehr das Spielerische liebt und ein besonderes Faible für die Pferderennbahn und den dazu passenden Kopfputz hegt, auch schwereren Themen mit Einfühlungsvermögen und der ihr eigenen Energie gegenübersteht.
Schon früh in ihrem nicht umwegfreien Werdegang als Hutmacherin ist sie regelmäßig Gast in Krankenhäusern gewesen und hat entdeckt, wie sie durch ihr Handwerk Kraft spenden kann. Wenn sie sagt „Ich möchte alle gut behüten“, ist das kein banales Wortspiel, sondern ein reales und in manchen Fällen eben auch ganz ernstes Anliegen.
Am richtigen Ort
In den Momenten, in denen all das trotz der Abwechslung doch zu alltäglich zu werden droht und die Muse sich vernachlässigt fühlt, setzt sich Katrin dann hin, um einen ganz eigenen Hut, ohne Auftrag und Vorgaben, zu fertigen. Wenn die Sonne scheint, manchmal auch vor dem Laden, mitten im Trubel des Alltags und doch geschützt.
Zu dem Ort hat sie schon jetzt, nach wenigen Monaten, eine Verbindung aufgebaut. Was wohl auch daran liegen mag, dass genau hier, in diesem Laden, ihr Vater als Kind Eis essen war, damals, als nebenan noch das Kino Astoria in war, in dem Gebäude, das heute das China-Restaurant Sonne ist.
Jetzt ist es die Tochter, die versucht, sich vorzustellen, wie es in der Vergangenheit ausgesehen haben mag, in der Gegenwart statt Eis Mützen verkauft und auch von der Zukunft schon eine Vision hat, „wie ich als alte Hutmacherin, schon ein bisschen wackelig am Stock, immernoch hier die Stufen zum Laden hochlaufe“ – jederzeit glücklich, alle, die zu ihr kommen, behüten zu dürfen.
Modista Hut- und Mützenmanufaktur
- Leipziger Straße 56
- Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Sonnabend 10 – 15 Uhr
- mehr Infos unter www.modista.de oder auf Instagram
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