Im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts wurden die Säle der Konzert- und Balletablissements „Stadt Bremen“, „Stadt Leipzig“ und „Zum Deutschen Kaiser“, allesamt an der Leipziger Straße gelegen, zu Filmtheatern umgestaltet.
Der in Pieschen geborene und ebenda aufgewachsene Wolfgang Roder war seit 1998 Mitglied des Zeitzeugenarchivs der Seniorenakademie Dresden. In seinen schriftlich niedergelegten „Erinnerungen an meine Kinderjahre“ hat er auch ein ganzes Kapitel dem Besuch der Filmtheater in Pieschen und der Leipziger Vorstadt gewidmet.
„An der Leipziger Straße zwischen Puschkinplatz und Ballhaus Watzke“, so beginnen Roders Aufzeichnungen, „gab es in meiner Kindheit drei Filmtheater. Aus der Stadtmitte kommend, standen an der Ecke Moritzburger Straße die ‚Astoria-Lichtspiele‘, auch das ‚Astloch‘ genannt. Der Eingang befand sich auf der Leipziger Straße. Über eine Treppe, die zum ersten Stockwerk führte, gelangte man direkt in den Kinosaal. Als Schüler besuchte ich oft die Kindervorstellungen an den Sonntagvormittagen. Der Eintritt kostete 15 Pfennige. Gezeigt wurden Stumm- und Tonfilme. Ich erinnere mich vor allem an die ‚Die Schlacht am blauen Berge‘ mit Buffalo Bill. Im ‚Astloch‘ sah ich auch meinen ersten Farbfilm. ‚Ramona‘ hieß er und handelte von der Liebe einer Indianerin zu einem Trapper und zu einem Indianer. Die Farben waren noch recht blass, aber für mich war es ein großes Erlebnis. Um die Luft im Kinosaal zu erfrischen, wurden mittels Spritzen sauerstoffangereicherte Duftstoffe versprüht. In den Pausen konnte man Drops oder auch die beliebten Nappos, eine mit Honigmasse überzogene Schokolade kaufen.“
Der Ballsaal der 1857 eröffneten Gaststätte „Stadt Bremen“ wurde 1927 zu einem Filmsaal umgebaut. Zunächst hieß das Filmtheater „Stadt Bremen“, ab Januar 1930 bis zur Schließung am Jahresende 1970 „Astoria-Lichtspiele“. Danach eine lange Zeit auch als Probebühne des Staatsschauspiels genutzt, wurde das Gebäude nach mehrjährigem Leerstand und Verfall 1993 verkauft und saniert. Zu den anschließenden Nutzern gehörten unter anderem die Tanzschule „Casa Latina“, das China-Restaurant „Sonne“ und die „Elbe58 Karaoke Bar“. Zurzeit ist das Gebäude zur Vermietung ausgeschrieben.
In Roders „Erinnerungen an meine Kindheit“ heißt es dazu: „Nur wenige Minuten vom ‚Astoria‘ entfernt, fast an der Ecke Oschatzer Straße, stand der ‚Faunpalast‘. Mit einem sehr großen Kinosaal, gepolstertem Gestühl, einer breiten Bühne und hervorragenden Übertragungsmaschinen war er das modernste Filmtheater an der Leipziger Straße, mit 1.000 Sitzplätzen auch das größte. Hier kamen die neuesten Filme zur Aufführung. Besonders begeistert hat mich damals der Kinderfilm ‚Emil und die Detektive‘, gedreht nach einer Erzählung des in Dresden geborenen Schriftstellers Erich Kästner. Aufregend für mich waren aber die Filme mit dem Bergsteiger Luis Trenker. So ‚Die weiße Hölle von Piz Palü‘, ein Stummfilm, und ‚Der Berg ruft‘. Im ’Faunpalast‘, vielfach Ort festlicher Veranstaltungen, fanden auch Weihestunden für die nicht kirchlich gebundenen vierzehnjährigen Mädchen und Jungen statt.“
Dass sich am 23. September 1945 im Filmtheater „Faunpalast“ der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ zum Landesverband Sachsen konstituierte, sei als Randbemerkung angefügt.
„Bereits seit Dezember 1923 lassen sich im Gasthof und Ballsaal Stadt Leipzig vereinzelt Filmvorführungen nachweisen. 1929 erweiterte der Dresdner Architekt Martin Pietzsch (1866-1961) das Gebäude zum „Faunpalast“, wobei er den neuen Kinosaal an der Gebäuderückseite anfügte. Nachdem das Filmtheater 1991 aus baupolizeilichen Gründen schließen musste, wurde der Kinosaal 2003 abgerissen, das denkmalgeschützte Vorderhaus umfänglich saniert.“ (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde / Dresdner Kinokultur)
Von seinem älteren Bruder wusste Wolfgang Roder, dass auf dem Grundstück Leipziger Straße Nr.112, „Jacobs Elbfähre“ schräg gegenüber, das älteste Pieschener Filmtheater, die „Deutscher-Kaiser-Lichtspiele“, stand. Das lange Kinogebäude mit schon tüchtig alten Apparaturen erstreckte sich in Richtung Bürgerstraße. Wenn es stark regnete, hörte man den Aufschlag der Regentropfen auf dem Dach. Damit der Film umgespult werden konnte, gab es im Laufe der Vorführung auch längere Pausen. Die Filme, die gezeigt wurden, waren sogenannte Kassenschlager. Allerdings konnten auch solche mit „Pat und Patachon“ oder mit Charly Chaplin (1889-1977) bewundert werden.
Im Sommer des Jahres 1911 ließ der Inhaber der Restauration „Deutscher Kaiser“ neben dem Hauptgebäude einen Kinosaal mit 600 Sitzplätzen errichten. Die „Deutscher-Kaiser-Lichtspiele“, so der Name des Filmtheaters, blieb auch nach der Schließung des Konzert -und Ballhauses „Zum Deutschen Kaiser“ eine beliebte Adresse für die Pieschener „Kinofreunde“. Mit Beginn des Jahres 1930 schloss das älteste Pieschener Filmtheater. Bei den anglo-amerikanischen Luftangriffen im Frühjahr 1945 wurde das anderweitig genutzte Gebäude beschädigt und später abgerissen. Heute bemüht sich die Handelskette Edeka für das Areal um eine Baugenehmigung für einen Supermarkt und Wohnungen.
Von den fünf Filmtheatern, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (Mai 1945) im heutigen Stadtbezirk Dresden-Pieschen in der Regel dreimal täglich zum Besuch einluden, stellten vier bis Anfang der 1980er Jahre ihren Spielbetrieb ein. Das waren 1958 die „Titania-Lichtspiele“ (Trachenberger Straße Nr.15), im Jahr 1970 das Trachauer Filmtheater „Goldenes Lamm“, ebenfalls 1970 die „Astoria-Lichtspiele“ und 1981 die „Rädelsburg“, ein Kinosaalbau an der Großenhainer Straße Nr.146.
Der zu den größeren Dresdner Filmtheatern zählende „Faunpalast“ wurde erst 1991 geschlossen. Aber, so eine weitverbreitete Volksweisheit, wenn sich Türen schließen, öffnen sich in der Regel andere. Am 26. Februar 1997 waren es die der UCI Kinowelt im Kaditzer Elbepark. Letztgenannter, 1995 eröffnet und später erweitert, ist mit fast 100.000 Quadratmeter Verkaufsfläche das viertgrößte Einkaufszentrum Deutschlands.
Brendler’s Geschichten ist eine Serie, in der Klaus Brendler für das Onlinejournal Pieschen Aktuell in loser Folge an Orte, Ereignisse und Personen im Stadtbezirk Pieschen erinnert. Der Stadtteilhistoriker und Autor war von 2007 bis 2023 Vorsitzender des Vereins „Dresdner Geschichtsmarkt“ und von 2002 bis 2022 Leiter der „Geschichtswerkstatt Dresden-Nordwest“. Er lebt in Dresden-Trachau.
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3 Kommentare zu “Brendler’s Geschichten: „Astoria“, „Faun-Palast“ und „Kaiser-Lichtspiele“”
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für einen gebürtigen Pieschener immer wieder tolle Geschichten – Danke dafür
Auch für Zugezogene spannend! Ich habe nur die Erwähung des „Casablanca“ vermisst- das gehörte wohl zur Neustadt?!
Schweesdo Onie: Das Casablanca in der Friedensstraße gehört a) zur Neustadt und ist b) ne Nachwende-Geschichte. Wenige Details im Neustadt-Geflüster.