Der Restaurantname könnte potentielle Besucher (m/w/d) verunsichern: Rausch. Klingt doch eher nach gepflegtem Besäufnis, oder? Aber Namen, wissen wir ja auch, sind Schall und Rauch – und irren sei menschlich, sagt eine andere Weisheit der Altvorderen. Also bestellen wir einen Tisch fürs Testessen der Kochsternstunden – zuerst allein, dann bucht sich nach einem Chat ein Freund hinzu und als Walk-In gesellt sich ein weiterer nach einem Telefonat auf dem Weg zum Rausch spontan hinzu. Das muss Erwähnung finden, weil zwar ausreichend Platz im Restaurant ist, der Laden aber kurz nach dem abendlichen Öffnen um 18 Uhr sich atemberaubend schnell füllt: wer reserviert hat, ist also klar im Vorteil.
Wo es so voll ist, wird es gut sein, denken wir – und es lässt sich auch bestens an. Ein Kellner, der freundlich und zuvorkommend ist, der sich – wie wir später feststellen – auch gut mit Weinen auskennt, führt uns durch den Abend. Es sollte, soviel vorab, für ihn aber auch ein Abend mit Herausforderungen werden. Das wissen wir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Auf dem Tisch liegen Karten mit den Menüs – es gibt eins „mit Fleisch“ und eins „vegan“. Beide kosten 49 Euro – wer sich wofür entscheidet, tut es also nicht wegen des Preises. Zwei von uns wählen „mit Fleisch“, einer „vegan“, weil er zwar nicht prinzipiell vegan is(s)t, es aber spannend fand bei der Lektüre. So soll es sein…
Die Suppe
Das Menü startete mit einer Suppe. Laut Karte eine weiße Kartoffelsuppe mit Rotkohlschaum – was sehr farbenfroh klingt. War’s aber nicht, denn der Rotkohlschaum ließ sich farblich am ehesten mit altrosa beschreiben, und das Weiße der Kartoffelsuppe ging im gebrochenen Glas ein wenig unter. Optisch war’s also, trotz des Kressegrüns zum Kontrast obenauf, nicht ganz so der Hit. Aber: es schmeckte! Und zwar, wie der Gastrosoph Carl Friedrich von Rumohr wohl gesagt hätte, leckerhaft! Beim Morchelsüppchen aus dem veganen Menü gegenüber gab’s natürlich keine Farbproblematik, denn Morcheln kommen ja immer etwas düster daher…
Der Zwischengang
So weit, so primstens bislang. Aber dann warteten wir auf den Zwischengang. Und warteten. Und warteten. Uns wurde bang: ob der Koch wohl schon gegangen sei, weil er keine Lust mehr hatte? Denn was mag an Wildschinken mit Blumenkohlwaffel so lange dauern? Eigentlich ist das der klassisch-schnelle Gang, der bestens vorbereitet ist und schnell geschickt werden kann. Von der Suppe bis zum Zwischengang vergingen mehr als 40 Minuten, die wir zwar überlebten (wir waren ja kein altes verheiratetes Ehepaar, sondern eine tratschende Männerrunde!) – was in Social-Media-Neusprech wahrscheinlich „eine gefühlte Ewigkeit“ gewesen wäre. Wie dem auch sei: optisch wie geschmacklich wurden wir getröstet und verstanden mittlerweile, warum die Pieschener Eckkneipe so beliebt ist. Vielleicht ist für die Beliebtheit ja auch die vegane Alternative ein Grund – oder aus veganer Sicht: die fleischige Alternative. Meist gibt es ja nur das eine oder das andere – aber beides beherzt und gleichwertig nebeneinander hat man selten. Die Optik des veganen Ganges war zumindest ähnlich ansprechend, das Gegenüber hatte auch geschmacklich nichts zu meckern (wenn ich das richtig erinnere).
Bis zum Hauptgang lernten wir, dass vierzig Minuten Wartezeit nachgeradezu lächerlich sind, wenn es auch mit knapp fünfzig geht. Und bevor jemand fragt: nein, wir sitzen da nicht mit der Stoppuhr herum, aber die Fotos haben ja Zeitmarken, die man im Fall der Fälle mal auswerten kann. Die angegebenen Zwischenzeiten sind also auch nicht reine Wartezeiten, sondern Zeiten zwischen dem Einsetzen der Gänge – für die ganz Genauen. Unsere wirklich nette Bedienung nutzte die Zeit, uns Trost zu spenden und zu beteuern, dass die Küchenmannschaft das Haus noch nicht verlassen habe.
Hauptgang und Dessert
Lange Pausen beim Essen können ja nicht nur boring sein, sondern sie haben noch einen Nachteil: man wird satt. Der Körper denkt: OK, das war’s dann wohl – und schaltet um in den Verdauungsmodus. Der dann aber gestört wird durch neue Nahrungsaufnahme, im Fall des Hauptgangs sogar durch reichlich und nicht zu leichte Kost.
Die Roastbeefroulade war (um das Fleisch vor den Veganern zu verstecken?) in einer Kruste versteckt, was gut würzig schmeckte und einen zusätzlichen Hauch von Umami ergab, aber eben auch ziemlich ins Sättigungskontor schlug (wenn das schräge Bild mal erlaubt sei). Prima: Es gab extra Sauce. Noch mehr prima: der Chorizo-Rosenkohl. Die Kalorienbombe Kartoffel-Safran-Baumkuchen stufte ich als typisch deutsche Sättigungsbeilage ein, ergo: überflüssig. Aber das ist, wie alles, natürlich streng subjetive Geschmackssache.
Schon eine Stunde nach dem Hauptgang kam das Dessert, bei dem der Kumquat-Granatapfel-Kompott in bester Erinnerung blieb. Wenn die Küche jetzt noch an ihren Abläufen arbeiten würde, wäre es rundum chic im Rausch…
Der gebürtige Ostfriese Ulrich van Stipriaan mit der Wahlheimat Dresden ist studierter Anglist, gelernter Journalist und praktizierender Humorist: “Das Leben ist schwer genug, um es nur ernst zu nehmen!”
Selbstständig seit 1984, zuerst in Bonn, seit 1990 in Dresden. Auf „STIPvisiten. Reiseberichte und Restaurantkritiken. Alles streng subjektiv“ schreibt und spricht (Podcast) er. Die Beiträge über die Kochsternstunden stellt er dem Onlinejournal Pieschen Aktuell in gekürzter Fassung zur Verfügung.
3 Meinungen zu “Kochsternstunden 2023: Vier-Gänge-Menü im Restaurant „Rausch“”
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Der gastronomisch interessierte Leser freut sich über eine sachlich und gleichzeitig lustig gestaltete Krtik, die dennoch zu einem Besuch ins Rausch einlädt. Im Sinne der Leserschaft sollte der Autor weitere Rezensionen zu diesem Thema zu verfassen, denn die Pieschener schauen auch gern mal über den Tellerrand ( über 20 Kochsternstunden-Teilnehmer) ins gastronomische Umland.
mit freundlichen Kochgrüssen Gerhard Renner
„Der Autor“ dankt fürs Lob. Hier werden die vier Restaurants aus Pieschen, die an den KSS teilnehmen, erscheinen. Alle von mir getesteten Restaurants stehen bei den STIPvisiten (sind oben in den Bio verlinkt).
Toll das sich das „Rausch“ an den Kochsternstunden beteiligt hat. Und das was da auf die Teller kam sah wirklich verführerisch aus. Weiter so!
Den Artikel zu lesen hat Freude bereitet. Das Wesentliche – es hat geschmeckt, an den Wartezeiten wird sicher gearbeitet. Ich freue mich auf meinen nächsten „Rausch“ – Besuch.
Bon appettit!