Der alte Leipziger Bahnhof soll dauerhaft ein Ort der Erinnerung werden. Foto: David Adam

Alter Leipziger Bahnhof: Gedenktag anlässlich der ersten Deportation aus Dresden

Güterbahnhof Dresden-Neustadt, 21. Januar 1942. 224 Menschen treten eine unfreiwillige Reise an, die vier Tage dauern wird. Tage in erst überheizten, dann dem Frost ausgelieferten Wagen mit verschlossenen Fenstern und Türen, direkt gefolgt von einem Fußmarsch, der schließlich im Ghetto von Riga endet.

80 Jahre seit der ersten Deportation aus Dresden

224 sächsische Jüdinnen und Juden, die auf Beschluss der Wannsee-Konferenz am Vorabend mit dem ersten Transport aus dem Regierungsbezirk Dresden-Bautzen, nennen wir die Reise beim Namen, deportiert werden und von denen 17 überleben. Bis 1944 bleibt der Bahnhof Ausgangspunkt und Zwischenstation von Deportationen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager.

Um daran zu erinnern, findet diese Woche anlässlich des 80. Jahrestags der ersten Deportation ein Gedenktag statt. Er soll ins Gedächtnis rufen, worauf momentan lediglich eine Tafel am Bahnhof Neustadt aufmerksam macht. Am eigentlichen Ort des Geschehens, also dem Alten Leipziger Bahnhof, zeugt nichts von diesem so wichtigen wie erschütternden Teil der Geschichte.

Seit 2001 erinnert die Gedenktafel am Bahnhof Neustadt an die Deportationen der jüdischen Bevölkerung. Foto: J. Frintert

Und das, obwohl sogar der Stadtrat letztes Jahr beschlossen hat, dort einen Erinnerungsort zu schaffen. Von dieser Seite war bisher nicht viel mehr als Worte zu hören. Und dann kam der 9. November, die öffentlichen Veranstaltungen zum Gedenken an die Reichspogromnacht wurden pandemiebedingt abgesagt, während sich gleichzeitig Pegida nicht zu schade war, just an diesem Tag eine weitere Demonstration mit Kundgebung des selbst vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD-Politikers Andreas Kalbitz abzuhalten.

Veranstaltungen für öffentliche Präsenz

„Da dachten wir uns, das reicht jetzt, wir müssen was machen“, erklärt Rita Kunert von Herz statt Hetze und erzählt, wie sich daraufhin schnell ein Bündnis aus Zivilgesellschaft und zahlreichen Vereinen zusammenfand, darunter mehrere jüdische Gemeinden, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Dresdner Oberbürgermeister.

Gemeinsam rufen sie diese Woche zum Gedenken auf. Am Donnerstag werden ab 18 Uhr jüdische Akteurinnen und Akteure aus der Stadt zu Wort kommen. Auch die Frage, wie attraktiv es für Jüdinnen und Juden heute ist, hier zu leben, wird im Raum stehen. Übertragen wird die Veranstaltung zusätzlich im Livestream.

Am Freitagabend dann soll Raum sein für individuelles Erinnern. Ganztägig können am Alten Leipziger Bahnhof Kerzen aufgestellt werden. Hinterlegt werden beide Veranstaltungen von einer Tonspur aus dem Dresdner Audiostadtrundgang „audioscript“ sowie einer Installation des Künstlers David Adam.

Wann? Wie viele? Wohin?

„Schon länger haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir mit der Geschichte dieses Ortes umgehen können“, spielt David darauf an, dass die Ateliers, Probe- und Veranstaltungsräume des Vereins Hanse 3, in dessen Vorstand er ist, genau auf besagtem Gelände beheimatet sind.

Als erstes Resultat werden nun am Donnerstag drei Tafeln aus Emaille an der Ruine des ehemaligen Bahnhofs angebracht. Wann? Wie viele? Wohin? Diese Fragen sollen zum Nachdenken anregen. Antworten darauf, also Informationen über Deportationen aus Dresden, hat der Künstler auf einer Website zusammengetragen, zu der ein QR-Code auf einer weiteren Tafel führt.

Die Tafeln werden auch nach dem Gedenktag bleiben. Vielleicht markieren sie ja einen Anfang, aus dem Alten Leipziger Bahnhof wirklich den Ort des Erinnerns zu machen, der er sein kann und werden soll.

Gedenkveranstaltungen am Alten Leipziger Bahnhof, Eisenbahnstraße 1

  • Donnerstag, 18 Uhr Gedenkkundgebung
  • Freitag ganztägig Kerzenaufstellen
  • mehr Infos und Zugang zum Livestream auf der Seite von Herz statt Hetze

2 Meinungen zu “Alter Leipziger Bahnhof: Gedenktag anlässlich der ersten Deportation aus Dresden

  1. Annekatrin Klepsch sagt:

    Sehr geehrte Frau Rennberg,
    leider erwähnen Sie in Ihrem Bericht nicht, dass die Kulturverwaltung die Initiativen nach dem Stadtratsbeschluss vom April 2021 bereits im Sommer letzten Jahres eingeladen hatte, ein Gedenken vor Ort für beide Termine vorzubereiten. Denn das Konzept „Erinnerngskulturelle Grundlagen der Landeshauptstadt Dresden“ fokussiert bewusst auf dezentrales Gedenken verschiedenster Initiativen. Desweiteren wurde sowohl die Veranstaltung am 9. November als auch die am 20. Januar mit Mitteln des Amtes für Kultur und Denkmalschutz aus der Kommunalen Kulturförderung finanziell gefördert.

  2. Thomas Munzig sagt:

    Guten Tag.

    … einen Erinnerungsort zu schaffen….
    Ja.
    Kommen wir zu einer sehr wichtigen Frage dazu.
    Wird ein Ort der Erinnerung auch die Menschen erreichen, die endlich einmal nachdenken müssten? Eher nicht.
    Nein, ich weiß um die oftmals sinnlos erscheinende Mahnung. Nie wieder! Wie oft wurde seitdem, in Kenntnis eines der schlimmsten Verbrechen, dieses Nie wieder schon relativiert, bzw. wissentlich entgegen gehandelt?
    Die Gründe dieses Versagens sind vielschichtig und sprengen diesen Rahmen. Einen möchte ich hier trotzdem anbringen: „Wir haben nichts gewusst:“ Doch! Und auch aktiv teilgenommen. Verrat quer durch die ganze Bevölkerung. Ohne die ganzen aktiven Unterstützer funktioniert keine Diktatur.
    So lange aber die eigene Schuld nicht eingestanden wird, auch von den Generationen der Nichttäter, erreichen alle Mahnungen die Köpfe eben nicht.
    224 Menschen. Ein Hoch auf die deutsche Bürokratie. Wir wissen von allen Deportierten, vergasten, verbrannten Menschen. Juden Kommunisten Schwule Bibelforscher….. Irrelevant was sie waren. Sie sind ermordet worden.
    Auf der Schlussrechnung stehen 60 Millionen. Unfassbar. Die schiere Größenordnung kann man nicht wirklich verarbeiten.
    Und? Lernen wir?
    Wir sind aufrechte Europäer. Demokraten. Menschenfreunde. Und werden schon wieder missbraucht. In jedem Konflikt stirbt die Wahrheit zuerst.

    Voller ohnmächtigem Zorn wünsche ich Ihnen allen trotzdem einen angenehmen Tag.

    Thomas Munzig

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