„Real Insect Estate“: Beeindruckendes Echo auf Wildbienen und Kunst

Michael Merkel hat Wort gehalten. Im August kündigte er ein Buch über das einmalige Projekt „Real Insect Estate“ an. Noch für dieses Jahr. Jetzt liegt es vor. Die 176 Seiten sind weit mehr als ein Katalog über die eingereichten Arbeiten zum „Künstlerischen Wettbewerb für ein Insektenhotel“.

Die Ausschreibung eines bundesweiten Gestaltungswettbewerbs für eine 5 mal 3 Meter große Nisthilfe an der Hoffassade des Geh8 Kunstraum und Ateliers „war der Versuch, in einem Modellprojekt Umweltschutz und Kunst innovativ zu verbinden“, erzählt Michael Merkel. Der Holzbildhauer hat Germanistik, Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte studiert und nutzt selbst ein Atelier in der Geh8. Die letzten Tage verlangten eher praktisches Geschick: mehr als 80 Bücher mussten als Belegexemplare verpackt und verschickt werden. Sie gehen an die Autoren der Entwürfe, aber auch an Universitätsbibliotheken. Rund 130 Universitäten, Berufsverbände der Bildenden Künstlerinnen und Künstler und Umwelteinrichtungen hatte Merkel angeschrieben und über das Projekt informiert. Fünf Universitäten hatten aus dem Künstlerischen Wettbewerb sogar Semesterprojekte gemacht. Über das Echo ist er auch heute noch hoch erfreut und ein bisschen erstaunt. 236 Einsendungen von 382 Personen!

Mehr als 80 Belegexemplare sind verpackt für den Versand. Foto: F. Fischer

Keine einfache Arbeit für die Jury, zu der Mandy Fritzsche, Sachverständige für Wildbienen, Sylvia Siebert vom Nabu Dresden-Meißen sowie Henning Haupt, Professor für Gestaltungslehre an der TU Dresden, gehörten. Sie wählten das Konzept „unterschlupf“ von Mareike de Boer aus Haren zum Sieger. Insgesamt 35 Entwürfe werden in dem Buch vorgestellt.

Jurymitglied Mandy Fritzsche, die die Einsendungen als Sachverständige für Wildbienen bewertete, bekommt in dem Buch Platz für kritische Anmerkungen. Bienenhotels seien auch eine Modemasche, um das eigene Gewissen zu beruhigen. „Es wird nicht gefragt: Was brauchen die Bienen?, sondern Wie kann ich mich am besten als Naturfreund präsentieren?“, schreibt sie. Die wirkliche Krux sei jedoch, dass Bienenhotels von den wenigsten Wildbienen als Nistplätze genutzt werden. „Der Großteil aller Arten nistet im Boden“, so Fritzsche. In die Bienenhotels ziehen die weniger bedrohten Arten ein. Wirklich etwas für Bienen zu tun, bedeute weitaus mehr – sich für eine Reformierung der Landwirtschaft einzusetzen. Sonst, so das vernichtende Urteil der Autorin, sind viele der gut sichtbar aufgestellten Wildbienenhotels nichts weiter „als ein Alibiprojekt und Ablassbrief für verhunzte Gärten“.

So wird das Insektenhotel aussehen: Der preisgekrönte Entwurf von Mareike de Boer.

Alibiprojekt ist das Real Insect Estate nicht. Das Areal der Ge8 ist von hunderten Sträuchern mit essbarem Obst umgeben, die Pflanzenvielfalt im großen Gemeinschaftsgarten nebenan ist weit entfernt von Monokultur. Versiegelter Boden wurde entsiegelt. Und der Versuch, Kunst und Natur in diesem Projekt zusammenzubringen, ist gelungen.

Wie sich diese Annäherung in der Geschichte darstellte, erläutert Sophie Thorak in einem Gastbeitrag. Ihr Exkurs reicht bis zu den Höhlenmalereien zurück und findet über die Landschaftsmalerei im 18. Jahrhundert und die (von den DDR-Offiziellen verschmähte) Aktionskunst zurück in die Gegenwart. Real Insect Estate berge das Potenzial, für die zunehmende Verdrängung natürlicher Lebensräume zu sensibilisieren, schreibt die Autorin.

Kern des Buches sind jedoch die eingesendeten Gestaltungsideen für eine 5 mal 3 Meter große Fläche auf der Hofseite des Geh8-Gebäudes. Interessant sind die Wortschöpfungen für die einzelnen Entwürfe. „Insektenflugbahn“, „Bee brother is watching you“, „Summ-Biose“, „Ein Stapel Wald“, Last Resort“, „Wall-Bee-ing“, „Kunst am Stock“, „BBrick“ oder „Beeotop“. Und Bee8. Das von den Schöpfern der Entwürfe eingesetzte Material ist genauso vielfältig: verschiedene Holzarten, Schilf, Bambus, Stahl, Naturstein, Klinker, Lehm, Bahnschwellen, Pappröhrchen, Holzwolle, Ton. Es macht Spaß, sich in die Entwürfe hineinzudenken. Die Visualisierungen sorgen dafür, dass die Fantasie zum Laufen kommt. Eingedenk der Kritik der Bienenkennerin hätten etliche der Entwürfe auch eine Realisierung im passenden Umfeld an anderen Orten verdient.

Das Buch ist in dem jüngst von Michael Merkel gegründeten Geh8-Verlag erschienen. Die Gestaltung hat er selbst übernommen, sie lässt das Buch zu etwas Besonderem werden. Das nächste Projekt ist bereits in Planung, inklusive Buch. Dann geht es um die Begrünung der restlichen Fläche auf der Hofseite des Geh8-Gebäudes. Derzeit wird die Ausschreibung für die „Begrünte Fassade“ vorbereitet. Der Wettbewerb ist für das kommende Jahr geplant, die Realisierung dann 2023.

Service:

Real Insect Estate, Herausgeber Michael Merkel
Geh8 Verlag, Gehestr. 8
ISBN 978-3-949612-01-5
Preis: 15 Euro, plus 3 Euro Versand
Bestellung: mail@geh8.de

 

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