Wilhelm Ostner, seit 1927 mit seiner Fahrzeugfabrik in Pieschen in der Bürgerstraße Nr. 56 ansässig, stellte daselbst bis 1936 Motorräder und ab 1932 auch Nutzfahrzeuge her. 1937 verlegte er seinen Firmensitz nach Brand-Erbisdorf und 1948 nach Sulzbach-Rosenberg (Oberpfalz). Dort wurde sein Unternehmen am 6. Juni 1956 von den FAUN-WERKEN übernommen.
Wilhelm „Willy“ Ostner, am 12. Dezember 1889 als Sohn eines Tischlermeisters in der 1904 nach Neuwied (Rheinland-Pfalz) eingemeindeten kleinen Ortschaft Heddesdorf geboren, steigt nach dem Volksschulbesuch, einer sich anschließenden Schlosserlehre sowie kurzer Berufstätigkeit 1912 in die „Automobilbranche“ ein.
Zunächst ist er in der Versuchsstation des damals berühmten belgischen Luxusautoproduzenten „Minerva“ mit Sitz in Antwerpen und danach als Reisemonteur in einer Vergaserfabrik tätig. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges (1.August 1914) erhält Willy Ostner die Einberufung zur Ableistung seiner Militärpflicht. Im Oktober1914 bei Ypern (Westflandern) schwer verwundet und nach seiner Genesung ab März 1915 als Leiter einer Kraftfahrzeugwerkstatt des Oberkommandos
11 in Serbien eingesetzt, wird er Ende 1917 wegen einer Malaria-Erkrankung für den „Felddienst“ als „untauglich“ erklärt. Noch im gleichen Jahr heiratet er die in Dörrental/Kreis Werschetz (Serbien) geborene Elisabeth Nagy.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verzieht Willy Ostner nach Dresden. Er wohnt im Haus Kleine Plauensche Gasse Nr. 40 und besucht die Technische Hochschule. Im März 1920 erhält er eine Anstellung als Konstrukteur bei der „Maschinenfabrik Walther Steiger & Co.“. Die Firma, 1914 vom Schweizer Ingenieur Walther Steiger in Burgrieden bei Ulm gegründet, produziert bis 1926 Personen- sowie Sportwagen.
Der Weg Willy Ostners in die Selbstständigkeit beginnt am 1. August 1921. Im Grundstück Strehlener Straße Nr.21 gründen er und sein Bruder Carl den Kraftfahrzeug- und Fahrradhandel „Ostner & Co“. Als am 16. Oktober 1923 der Eintrag “Fahrrad und Armaturenfabrik Willy Ostner“ ins Handelsregister Dresden erfolgt, ist er schon Eigentümer einer sich im Hintergebäude des Hauses Leipziger Straße Nr.154 befindenden Spezialfabrik für Motorrad-Fahrgestelle.
Er selbst wohnt noch auf der Dohnaer Straße in Leubnitz- Neuostra. Drei Jahre später, am 22. Dezember 1926, kauft er vom Produktenhändler Friedrich Arthur Voigt das 1897/98 durch den Pieschener Architekten Johann Nepomuk Franz Wachter erbaute Haus in der Bürgerstraße Nr.56.
Hier beginnt Willy Ostner 1927, der seit 1929 auch im Hause wohnt, mit der Herstellung von Motorrädern, alle ausnahmslos mit Fremdmotoren ausgerüstet. Unter dem Markennamen „O. D.“ (OSTNER DRESDEN) werden bis 1936 etwa 1.000 Motorräder verschiedener Modelle gefertigt. „Sein Bruder Carl Ostner, der 1927 in die Firma einsteigt und früher auch Motoradrennen fuhr, war bekannt als Fahrgestellspezialist, was auch einige Rennfahrer veranlasst, auf Motorräder der Marke O.D. im Rennsport zu setzen.“ (Quelle: streckenbild.de).
Wissenswert ist, dass Willy Ostner in den Jahren 1927-1933 auch Rennleiter der Motorradrennen auf dem Grillenburger Dreieck ist. Letztgenanntes war von 1927-1931 eine Motorsport-Rennstrecke bei Dresden und galt bis 1933 als der „erste Sachsenring“.
Dem enorm gestiegenen Bedarf nach Personen- und Güterfahrzeugen begegnet Willy Ostner, indem er ab 1932 zunächst Dreiradlieferwagen und später sogenannte Kombinationswagen herstellt. Die Produktion von Motorrädern fährt er allmählich zurück, 1936 stellt er sie schließlich ein.
Ständig wachsende Produktionszahlen an Dreiradfahrzeugen sind Willy Ostner Anlass, 1938 das Firmengrundstück der ehemaligen „Tafelglaswerke“ in Brand-Erbisdorf für einen Kaufpreis von 29.400,- RM zu erwerben. Dort werden unter dem Namen „Ostner-Fahrzeugwerke oHG“ Dreirad-Lieferwagen und Vierrad-Lastwagen produziert.
Im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges (Mai 1945) und der Jahre danach trifft Willy Ostner eine Entscheidung. Er nimmt 1947 seinen Wohnsitz in Sulzbach-Rosenberg (Oberpfalz) und gründet mit seinem Schwiegersohn die ausschließlich Nutzfahrzeuge produzierende „Ostner-Fahrzeugwerke oHG / Sulzbach-Rosenberg“.
Die Folgen der Währungsreform (Juni 1948) in den drei westlichen Besatzungszonen führen aber letztendlich dazu, dass Willy Ostner seine Firma „veräußern“ muss. Am 6. Juni 1956 wird sie hochverschuldet von den FAUN-WERKEN (FAHRZEUGFABRIKEN ANSBACH UND NÜRNBERG) übernommen. Wenige Jahre später, am 16. Februar 1959, stirbt Willy Ostner in Sulzbach-Rosenberg.
Nach 1945 befand sich im Grundstück Bürgerstraße Nr.56 das Autohaus Walter Röthig (Hauptvertretung und Vertragswerkstatt für Automobile und Motorräder der BMW-Werke München), die Firmen Lösche & Schubert (Kfz-Reparatur) sowie Martin Ernst (Kfz-Reparatur). Im April 1953 wurde das Grundstück „Eigentum des Volkes“ und das Autohaus Röthig der VEB Autoreparaturwerk Dresden, Werk I.
Danksagung des Autors: Text- und Bilddokumente sowie mündliche Auskünfte zum Leben Willy Ostners stellten seine in Spanien wohnenden Nachkommen, Johannes Hartmann, Leiter des Stadtarchiv in Sulzbach-Rosenberg und Tobias Hölzer (Hölzer Bauservice & Hausverwaltung, Dresden-Pieschen) uneigennützig zur Verfügung.
>> zum Archiv von Brendler’s Geschichten
Ein Kommentar zu “Brendler’s Geschichten: Wilhelm Ostner und seine Fahrzeugfabrik in der Bürgerstraße”
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Als Werkleiter des VEB wurde Ing. Willy Berger (1916-1973) eingesetzt, der zuvor als Referent im Verkehrsministerium Berlin in Ungnade gefallen und nach Dresden versetzt worden war. An der Hand meiner Mutter ging ich täglich am Werk vorbei zum Kindergarten auf der Bürgerstrasse. Willy Berger wartete gelegentlich am Wege und wurde bald mein Stiefvater. Mit dem VEB Autoreparaturwerke errang er die Wanderfahne des Bezirkes und wurde weiterversetzt zur Bezirkswerkstatt für Postkraftwagen auf der Löbtauer Straße.