Gegen Mittag des 21. September 1913, einem grauen herbstlichen Sonntag, verließen Schneidermeister Richard Uhlig und sein 10jähriger Sohn Karl die Wohnung. Im Erdgeschoss des großen Eckgebäudes Leipziger Straße 22 am Erfurter Platz begegneten sie der Schankwirtin des Deutschen Ritter, die gerade die Küchenabfälle des Vortages und die Inhalte der Aschenbecher in eine Tonne im Hof bringen wollte. „Ihr habt euch aber fein rausgeputzt. Wohin soll es den gehen?“, fragte sie neugierig mit einem verschmitzten Lächeln den Schneidermeister.
Sie mochte ihn, mochte seine Art zu reden, sein fesches Aussehen und überhaupt. Den Richard konnte sie, sehr zum Leidwesen der Frau Schneidermeister, um den Finger wickeln. Für kleine Schmeicheleien war er empfänglich und genoss sie auch, was die Eifersucht seiner Gattin immer wieder zu einem Wohnungsbrand auflodern ließ. Statt seiner antwortete der kleine Karl. „Nach Kaditz geht´s, zum neuen Flugplatz. Der wird doch heute vom König eingeweiht.“ Lachend wünschte die Wirtin einen guten Tag.
Vater und Sohn gingen zur Anlegestelle des Dampfers. Frau Uhlig blieb zu Hause. Ihr war der Rummel zu groß. Der Dampfer fuhr unter lautem Tuten am Haltepunkt Leipziger Vorstadt ab. An Bord war es ziemlich voll. Aber diese Anreise war die günstigste an diesem Tag. Die
Sächsisch-Böhmische Dampfschifffahrts-Gesellschaft stellte ihren Fahrplan ab dem kommenden Montag um. So wurden die Fahrzeiten an das Erreichen der Abfahrtszeiten der Eisenbahn angepasst und ab der Straßenbahnstation Mohnstraße der Linie 15 unterhielt die Dresdner Fuhrwesen-Gesellschaft eine Omnibusverbindung zum Flugplatz. Das Ankommen eines Luftschiffes wurde dann am Rathausturm in Dresden signalisiert. Das erklärte Richard Uhlig seinem staunenden Sohn während der Anfahrt zum Flugplatz.
Das Luftschiff ist da
Hunderte Leute verließen den Dampfer. Karl zeigte aufgeregt nach vorn. Imposant präsentierte sich die Luftschiffhalle. Das Gebäude hatte eine Länge von fast 200 Meter, 37 Meter in der Höhe und 56 Meter in der Breite. Darin lag die „Sachsen“. Nach der Entrichtung des Eintritts von 50 Pfennig pro Nase, bahnten sich Vater und Sohn einen Weg durch das dichte Gedränge, um einen besseren Sichtplatz zu ergattern.
Alles, was Rang und Namen hatte, war gekommen, Majestät Friedrich August III. natürlich, die Prinzen und Prinzessinnen, die Honoratioren aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Militär, alle begrüßt vom Oberbürgermeister Dr. Beutler.
„Der Landwasserflugplatz in Kaditz ist der erste städtische Flugplatz der Welt“, betonte er unter dem Jubel Tausender Menschen. „Dresden wird auf dem begonnenen Weg weiterschreiten, um bald einer der größten Luftverkehrszentralen des Reiches zu werden“, so seine optimistisch-prophetischen Worte zur Weihe des Flugfeldes. So stand es im Salonblatt. Da ahnte er noch nicht, dass dieses mit hohen Erwartungen vollgespickte 20. Jahrhundert ganz andere Überraschungen im Portfolio bereithielt.
„Können wir auch mal mit dem Luftschiff fliegen?“, fragte Karl. „Würde ich auch gerne“, lachte Vater Richard. „Das können wir uns aber nicht leisten. 200 Mark soll man dafür hinblättern. Dafür müsste ich einige Anzüge schneidern und wir dürften dann viele Tage nichts essen und trinken.“ Das verstand der kleine Karl.
Nach der feierlichen Weihe wurde das Schiff des alten Grafen Zeppelin aus der Halle gezogen und am Ankerhaken, welcher sich an einem riesigen Betonklotz befand, befestigt. Der Vorsitzende des Königlich-sächsischen Vereins für Luftfahrt wünschte den Reisenden zum
Abschied „glückliche Fahrt und stets glatte Landung“. Die Ehrengäste stiegen in die Gondel und dann erhob sich kurz vor halb vier nachmittags das weiße Luftschiff, anfangs noch gehalten von der in Kaditz stationierten Luftschifferkompagnie und schwebte mit den
Klängen der Artilleriekapelle in Richtung Sächsische Schweiz davon. Dann stiegen hunderte weiße Tauben auf.
Die Flugshow
Das war aber noch nicht alles. Lautes Motorengeheul kündigte die nächste Attraktion an. Sieben Flugzeuge, die hier in Zelten ständig stationiert waren, erhoben sich in die Lüfte. Im Salonblatt Nr. 44 von 1913 war zu lesen: Vier Doppel- und drei Eindecker „kreuzten sich,
hoben und senkten sich in oft bravourösen Kurven- und Sturzflug“.
Richard beschäftigte sich schon länger mit diesen neuen Luftfahrzeugen. Stolz erklärte er seinem Sohn die Arten der Flugzeuge. Die neben ihnen stehenden Gäste der Weihe hörten aufmerksam zu. Hoch erregt und den Kopf voller wunderbarer Bilder dieses Tages fuhren Richard und Karl Uhlig nunmehr mit dem Omnibus zur Mohnstraße und von da aus mit der Straßenbahn nach Hause.
Karl eilte zu seinen Freunden und der Schneidermeister in den Deutschen Ritter. Dort berichtete er, unter Reichung mehrerer gesponserter Biere und einiger Kurzer, ausführlich über seinen Tag in Kaditz. Sein Bett war ja nicht weit, nur ein Stockwerk höher.
Der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb durchstöbert für seine Geschichten mit Vorliebe die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek.
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