Im SRH Berufsbildungswerk Dresden an der Hellerhofstraße absolvieren junge Menschen mit körperlichen und psychischen Einschränkungen eine Berufsausbildung oder bereiten sich darauf vor. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten 300 Jugendliche mit Handicap ihre Ausbildung ins Homeoffice verlegen – eine immense Herausforderung für Ausbilder und Azubis. Aber in der Gesundheitskrise liegt auch eine große Chance für den Ausbau der digitalen Berufsausbildung.
Jeder Azubi im Berufsbildungswerk ist anders, jeder Einzelne hat individuelle Beeinträchtigungen und sich daraus ergebende Bedürfnisse – das gilt auch für die Ausbildung. Die coronabedingte Schließung der Bildungseinrichtung Mitte März erforderte, dass der Ausbildungsplan von allen 300 Azubis umstrukturiert und digitalisiert werden musste, um Ausbildungs- und Wissenslücken zu vermeiden. Die Herausforderung bestand darin, die stark praxisorientierte Ausbildung in 15 Berufen nun virtuell umzusetzen.
Die Ausbilder tasteten sich Schritt für Schritt an die Aufgabe heran und ermittelten, wieviel Stoff ihre Azubis bewältigen können, ohne sie mit dem Pensum und der neuen Situation zu überfordern. „Wir haben schnell akzeptieren müssen, dass wir bestehende Prozesse und Strukturen aufgeben müssen. Für unsere Azubis mit besonderem Förderbedarf ist das umso herausfordernder“, sagt Kathrin Sippach, verantwortlich für das SRH Berufsbildungswerk Dresden. Zwar wurden die Auszubildenden aus der Ferne angeleitet und so gut wie möglich begleitet, dennoch mussten sie plötzlich eigeninitiativ und strukturiert arbeiten.
Neue Kompetenzen erwerben
„Ich sehe in der Krise eine große Chance für die Jugendlichen mit Handicap. Sie lernen jetzt sehr wichtige Kompetenzen“, sagt Mathias Jabs. Er ist einer der Ausbilder für den Bereich Fachinformatik im Berufsbildungswerk Dresden. Die IT-Branche kommt gerade jungen Menschen mit Handicap sehr entgegen. Viele IT-Unternehmen arbeiten inzwischen in virtuellen Teams. „Die Azubis lernen jetzt beispielsweise den Umgang mit dem Mikrofon und der Kamera. Sie üben, Inhalte so aufzubereiten und rüberzubringen, dass sie für alle Teilnehmer einer Videokonferenz verständlich und nachvollziehbar sind. Sie entwickeln sich weiter in der Kommunikation über Messenger-Dienste und Mails und machen jetzt die Erfahrung, dass es nicht immer erforderlich ist, sich persönlich zu sehen.“
Wie weiter nach Gehirntumor?
Einer, der von diesen Entwicklungen profitiert, ist Nico Werner. Er absolviert im ersten Lehrjahr eine Ausbildung zum Fachinformatiker im Berufsbildungswerk Dresden und arbeitet seit Mitte März im Homeoffice. Der 25-jährige leidet an einer spastischen Halbseitenlähmung. Im November 2015 wurde bei ihm die Diagnose Gehirntumor gestellt. Ein Schock für den jungen Mann, der sich mitten in der Ausbildung zum Mechatroniker befand. Durch eine Operation wurde der Tumor aus seinem Kopf vollständig entfernt, geblieben ist allerdings eine Hemiparese. Mit seiner linken Körperhälfte kann er nur noch minimale Bewegungen durchführen, sein linkes Gesichtsfeld ist eingeschränkt. Nach der Gehirnoperation folgten mehrere Rehas und die Empfehlung für eine Ausbildung im Berufsbildungswerk. Denn an einen Job als Mechatroniker war nicht mehr zu denken.
Auch im Homeoffice feste Strukturen
„Mir gefällt am Berufsbildungswerk Dresden, dass ich hier im Internat wohnen und meine Ausbildung und meine Therapien gut vereinbaren kann.“ Vorübergehend wohnt Nico Werner nun aber wieder bei seinen Eltern in Bernsdorf bei Hoyerswerda. „Ich komme im Homeoffice eigentlich gut zurecht. Eine Herausforderung war am Anfang die Selbstdisziplin“, erzählt der junge Mann. Hier helfen ihm die festen Strukturen, die sein Ausbilder Matthias Jabs geschaffen hat. „Genau wie in der Ausbildung auf dem Campus, sitze ich 7.30 Uhr am Rechner, der Morgenkreis beginnt 8.30 Uhr. Hier besprechen wir die Tagesaufgaben. Wir Azubis können uns untereinander austauschen und unsere Lösungswege besprechen. Das ist fast wie in der normalen Ausbildung“, beschreibt er seinen neuen Alltag. Einen Beruf, in dem er dauerhaft im Homeoffice arbeitet, kann er sich sehr gut vorstellen. „Ich möchte in der Anwendungsentwicklung arbeiten, da muss viel programmiert werden und das kann ich sehr gut von zu Hause aus machen.“
Hier liegt eine der großen Chancen in der Gesundheitskrise. „Für junge Menschen wie Nico Werner ist es durchaus vorstellbar, eine rein digitale Ausbildung zu absolvieren. Dafür haben wir jetzt im Berufsbildungswerk Dresden die Weichen gestellt und werden weiterhin Konzepte erarbeiten, um Chancen für junge Menschen mit auch schwerwiegenden Handicaps zu erhöhen“, sagt Kathrin Sippach. Vorstellbar ist beispielsweise eine rein virtuelle Ausbildung für junge Menschen mit schwersten gesundheitlichen Einschränkungen. Diese können oft im Homeoffice besser arbeiten und erhalten so die Chance auf eine sinnbringende Erwerbstätigkeit.
Schrittweise zurück in den Präsenzbetrieb
Insgesamt stehen die Azubis im Berufsbildungswerk Dresden der Nutzung digitaler Medien aufgeschlossen gegenüber. Dennoch sind die Anforderungen der Krise und damit das Lernen daheim nicht für alle Berufe geeignet – eine Herausforderung für handwerkliche und kaufmännische Berufe. Deshalb freuen sich Ausbilder und Azubis im Berufsbildungswerk Dresden nun, dass mit den Lockerungen der Präsenzbetrieb wieder schrittweise aufgenommen wurde und ab 25. Mai wieder alle Azubis auf den Campus zurückkehren. Ausgenommen davon sind Azubis, die aufgrund ihrer Erkrankungen vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus besonders geschützt werden müssen.
Ein Gastbeitrag von Tanja Kirsten, Öffentlichkeitsarbeit, SRH Berufsbildungswerk Sachsen
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