Brendler’s Geschichten: Wie aus dem „Restaurant Bahnhof Trachau“ die „Kant-Apotheke“ wurde

Im Dresdner Adressbuch 1936, dessen Druck im Dezember 1935 abgeschlossen wurde, sind für die Stadtteile Pieschen und Trachau unter dem Abschnitt „Berufsklassen und Gewerbebetriebe“ nachgenannte Apotheken aufgelistet: „Hirsch-Apotheke“, „Moltke-Apotheke“ und „Elisabeth-Apotheke“, allesamt Leipziger Straße, sowie „Barbara-Apotheke“ und „Weinberg-Apotheke“, beide Großenhainer Straße. Wie jede dieser Apotheken eine eigene Geschichte hat, so kann auch die im Laufe des Jahres 1936 in Trachau eröffnete „Kant-Apotheke“ auf eine solche verweisen. Den Beleg dafür finden wir im Adressbuch von 1937.

„Adreßbuch für Dresden und Vororte“ 1937, Druck beendet 20.01.1937. Einwohner zum 01.12.1936: 637.180.

Der in Königsberg (heute Kaliningrad) geborene, seit 1921/22 auf der Uhlandstraße Nr. 38 in Dresden-Südvorstadt wohnhafte und 1935 nach Dresden-Trachau verzogene Apotheker Ernst Franz von Janczewski eröffnete 1936 im Hause Hildesheimer Straße Nr.66 eine eigene Apotheke. Er gab ihr den Namen des berühmtesten Sohnes seiner Geburtsstadt Königsberg, den des Philosophen Immanuel Kant (1724-1804).

Auf Initiative von Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) wurde am 27. Juni 1992 ein Nachguss des Kant-Denkmals in Königsberg aufgestellt. Foto: Andreas Toerl / Wikipedia

Immanuel Kant, als viertes von elf Kindern am 22. April 1724 in Königsberg geboren, gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie. Im Jahre 1785 verfasste er seine grundlegende Schrift zur Ethik, die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. In ihr formulierte er als Kategorischen Imperativ: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Am 12. Februar 1804 verstarb Kant, sein Grab befindet sich an der Außenseite des Doms in Kaliningrad. Das nach einem Entwurf des Bildhauers Christian Daniel Rauch (1777-1857) geschaffene Kant-Denkmal wurde am 18. Oktober 1864 in Königsberg enthüllt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem nahe von Königsberg gelegenem Gut der Familie Dönhoff in Sicherheit gebracht, konnte es nach Kriegsende nicht mehr aufgefunden werden.

Das einzige Haus an der kurzen, nicht durchführenden Hildesheimer Straße in Dresden-Trachau trägt die Hausnummer 66. Foto: K. Brendler

Die Geschichte des Hauses Hildesheimer Straße Nr. 66 nahm ihren Anfang mit einem Bauantrag. Datiert am 28.März 1900 richtete ihn der Dekorationsmaler Friedrich August Müller an die Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt. Er schrieb: „Auf Parzelle 146c, welche angrenzend der zukünftigen Haltestelle der […] Staatseisenbahn gelegen ist, beabsichtige ich ein Wohnhaus mit Bahnhofs-Gastwirtschaft verbunden mit Fremdenübernachtung zu errichten.“

Friedrich August Müller, der offensichtlich die „Gunst der Stunde“ erkannte, war Gemeindeältester des Trachauer Gemeinderates und Mitglied des Bauausschusses. Er wohnte im eigenen Haus in der Großenhainer Straße Nr. 8 (heutige Anschrift Schedlichstraße Nr. 30).

Der Gemeinderat Trachau 1902 (Ausschnitt) / sitzend 1.-3. von links Gemeindeältester Friedrich A. Müller, Gemeindevorstand Friedrich E. Röselmüller, Gemeindeältester Hermann A. Stephan. Foto: Archiv K. Brendler

Der Eröffnung einer Eisenbahnhaltestelle in der Vorortgemeinde Trachau gingen die am 1. Februar 1898 vom Sächsischen Landtag beantragten finanziellen Mittel sowie die einen Monat danach erfolgte „…Genehmigung zur Errichtung des Haltepunktes …“ voraus. Was den Bauantrag des Friedrich August Müller betraf, so lehnte die Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt zunächst „…mangels Bedürfnis…“ ab, befürwortete aber wenig später doch den Bau. Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Haltepunktes konnten auch die ersten Mieter einziehen.

Am 1. Mai 1902 wurde die „zukünftige Haltestelle der Staatseisenbahn“ mit zwei Außenbahnsteigen und Empfangsgebäude übergeben. / AK 1903: Archiv K. Brendler

Hauseigentümer Friedrich August Müller, bis zur Eingemeindung Trachaus nach Dresden (1. Januar 1903) als Gemeindeältester noch „in Amt und Würden“, eröffnete 1904 im Hause Hildesheimer Straße die von ihm beabsichtigte Bahnhofs-Gastwirtschaft,

Das „Restaurant Bahnhof Trachau“, dessen Gastwirte häufig wechselten, wurde 1934 geschlossen. Letzter Gastwirt war der bisher in der Äußeren Neustadt Dresdens wohnende Mechaniker Paul Gäbler. Er hatte 1923 das Haus Hildesheimer Straße Nr.66 erworben und stand bis zur Schließung des Restaurants auch „hinter dem Zapfhahn“.

Das „Restaurant Bahnhof Trachau“ wurde 1904 im Zusammenhang mit der Einweihung des Eisenbahnhaltepunktes Trachau eröffnet. Foto (um 1920): Archiv K. Brendler

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ist ein Großteil der sogenannten Hans-Richter-Siedlung (heute Wohnungsgenossenschaft Trachau Nord) fertiggestellt. Die Bevölkerungszahl in diesem Trachauer Neubaugebiet wuchs ständig. Außerdem standen seit 1928 schon sechs der späteren acht Wohnpavillons des Güntz-Altenheims. Mag sein, dass diese Umstände eine Apotheke erforderlich machten, es mögen auch andere Gründe vorgelegen haben. Tatsache ist, im Laufe des Jahres 1936 eröffnete der Apotheker Ernst Franz von Janczewski in den ehemaligen Gasträumen des „Restaurant Bahnhof Trachau“ die „Kant- Apotheke“.

Luftbildaufnahme der Großsiedlung Trachau (heute WG Trachau Nord) mit dem 1928 errichteten Güntz- Altenheim an der Industriestraße. Foto (1936/37) Archiv K. Brendler

Brendler’s Geschichten ist eine Serie, in der Klaus Brendler für das Onlinejournal Pieschen Aktuell in loser Folge an Orte, Ereignisse und Personen im Ortsamtsbereich Pieschen erinnert. Der Stadtteilhistoriker und Autor ist Vorsitzender des Vereins „Dresdner Geschichtsmarkt“ und Leiter der „Geschichtswerkstatt Dresden-Nordwest“. Er lebt in Dresden-Trachau.
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