Seit knapp 190 Jahren gibt es in Dresden eine Bildungseinrichtung für Hörgeschädigte. 1828 gründete Johann Friedrich Jencke die Königliche Taubstummenanstalt zu Dresden, dessen erster Direktor er war. Seit 1959 existiert der Standort Maxim-Gorki-Straße, der 1972 ausgebaut und um das heutige Haus B erweitert wurde. Anfang der 90er Jahre wurde das Internat für Gehörlose umfassend saniert sowie ein Schulteil für Mehrfachbehinderte eröffnet. 1994 erhielt die Gehörlosenschule den Namen Johann Friedrich Jencke. 1999 wurden die Schule für Schwerhörige und die Schule für Gehörlose zusammengelegt. Gemeinsam zogen sie in die umgebaute ehemalige Gehörlosen- und Sprachheilschule.
Seitdem wird dieses Förderzentrum für Hörgeschädigte immer weiter entwickelt. Über die Veränderungen konnten sich kürzlich am Tag der offenen Tür auch ehemalige Schüler dieser Einrichtung informieren. So erzählte eine 70-Jährige gebürtige Bautznerin davon, wie sie die Zeit von 1959 bis 63 im Wohnheim genossen hat, da sie dort genügend Mitschüler und Lehrer hatte, mit denen sie sich in Gebärdensprache unterhalten konnte – etwas, das zu Hause mit ihren hörenden Eltern so nicht möglich war. Auch heute haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, wochentags im Wohnheim auf dem Schulgelände zu wohnen. Vor vielen Jahren war dieses mit bis zu 120 Bewohnern besetzt. Derzeit gibt es aber nur noch zwei Wohngruppen mit insgesamt knapp 20 Schülern. Die Schüler kommen aus ganz Sachsen nach Dresden. Gleichzeitig wollen viele Kinder möglichst in der Familie leben, auch wenn damit lange tägliche Fahrtzeiten verbunden sind. Neben dem Dresdner Förderzentrum gibt es noch weitere in Chemnitz und Leipzig.
Hauptschul- und Realschulabschluss sind möglich
Am Förderzentrum in Dresden lernen derzeit zwischen 120 und 130 Schüler. Neben dem einfachen und qualifizierenden Hauptschulabschluss ist es auch möglich bei entsprechender Eignung einen Realschulabschluss zu erwerben. „Die Prüfungsanforderungen entsprechen denen an einer Regelschule“, erklärt Schulleiterin Jana Pohl. „Die Prüfungen für unsere Schüler werden adaptiert, das heißt, lange und komplizierte Sätze in den Aufgabenstellungen werden zum Beispiel vereinfacht oder Fremdwörter gegebenenfalls erklärt. In jedem Schuljahr schaffen immer wieder einige unserer Schüler den Sprung auf das Gymnasium“, so die Schulleiterin. In Sachsen gebe es allerdings kein Gymnasium für Hörgeschädigte. Dafür müssten die Schüler zum Beispiel nach Berlin oder Essen umziehen.
Im Grundschulbereich gibt es Kooperationen mit der 41. und der 43. Grundschule. Dabei haben hörgeschädigte Grundschüler ein Jahr länger Zeit den Stoff der Grundschule zu bewältigen. Die Grundschüler nutzen vor und nach dem Unterricht die Ganztagsbetreuung im Förderzentrum. Die Schüler der ersten bis sechsten Klassen können nicht nur ihre Hausaufgaben erledigen sondern aus einem vielfältigen kreativen Angebotsbereich auswählen. Bis 17 Uhr können sie sich montags bis freitags im Atelier, in der Nähstube oder auch im Bauzimmer ausprobieren. Auch das eigenständige Einkaufengehen wird mit den Kindern geübt. Von den 70 möglichen Plätzen in der Ganztagsbetreuung werden derzeit 37 genutzt.
Beratung und Diagnostik
Eine wesentliche Säule des Förderzentrums ist die Beratung und Diagnostik. Pro Schuljahr werden rund 100 Diagnostiken durchgeführt, bei denen das genaue Problem des einzelnen Kindes herausgefunden wird, um dann eine Empfehlung für die geeignete Schulform zu geben. Über 60 Prozent der im Förderzentrum diagnostizierten Kinder gehen an eine Regelschule und erhalten eine Integrationsbegleitung. Dafür stehen rund zehn Pädagogen des Förderzentrums zur Verfügung. Diese fahren regelmäßig quer durch Sachsen und hospitieren im Unterricht der Kinder.
Anschließend geben sie den Lehrern der Regelschule Tipps und methodische Hinweise, wie sie das Lernumfeld der hörgeschädigten Kinder weiter verbessern können, damit sie gute Lernerfolge erzielen. Das sind meist vermeintliche Kleinigkeiten, wie die Ausstattung der Räume, der richtige Sitzplatz für das betreffende Kind oder auch, dass die Lehrer darauf achten, das Kind direkt anzuschauen, wenn sie mit ihm reden. Der zeitliche Rahmen, der für diese Integrationsbegleitung zur Verfügung steht, ist allerdings ausbaufähig. Aktuell steht für jedes Kind eine halbe Stunde pro Woche zur Verfügung, unabhängig vom jeweiligen Bedarf. „Das war vor einigen Jahren schon besser. Da hatten die Kollegen zum Teil pro Kind bis zu zwei Stunden pro Woche Zeit“, bedauert Jana Pohl.
Fortbildung wird ganz groß geschrieben
Das Förderzentrum bietet darüber hinaus nicht nur dem eigenen Personal regelmäßige Fortbildungen an, zum Beispiel schulinterne Fortbildungen in der Gebärdensprache, sondern auch den Lehrern der Regelschulen, in denen Integrationsschüler lernen. So informieren sie über die unterschiedlichen Bedürfnisse von peripher hörgeschädigten Schülern und Schülern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen sowie den derzeit benutzten unterschiedlichen Hörtechniken.
Das Förderzentrum arbeitet mit verschiedenen Kooperationspartnern zusammen. Dazu zählt seit Sommer 2015 auch der bilinguale Kindergarten, der in einem der Gebäude an der Maxim-Gorki-Straße untergebracht ist. Dieser Kindergarten bietet Platz für 104 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahre. Darunter sind zehn Integrationsplätze. Aktuell besuchen 44 Kinder diese Einrichtung, darunter sieben Integrationskinder.
Auf spielerische Weise lernen so hörende Kinder die Gebärdensprache und wachsen auf ganz natürliche Weise mit Kindern auf, die etwas „anders“ sind. Auch ausländische Kinder besuchen inzwischen diesen Kindergarten. Die Nutzung der Gebärdensprache und die Verwendung von Bildmaterial helfen diesen Kindern beim Erlernen der deutschen Sprache, so die Erfahrung der Einrichtungsleiterin Christiane El Aboudy-Kalz. Sie freut sich auch über die gute Kooperation mit der Schule. So führen die Lehrerinnen und Lehrer jedes Jahr ein Weihnachtsmärchen mit Gebärdensprache vor den Schülern und Kindergartenkindern auf.
>> Mehr Informationen unter www.johannf.de
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