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Gisela Purath aus Trachau ist Familienchronistin aus Leidenschaft

Schulreformen waren schon immer umstritten. Auch vor mehr als einhundert Jahren. Walther Roch, 1890 zum Lehrer in Pieschen ernannt, war mit der Abschaffung des Rohrstocks überhaupt nicht einverstanden. „Die Beseitigung des Züchtigungsrechtes bedeutet einen gewaltigen gesundheitlich-wirtschaftlichen Rückschritt“, schreibt er in der Begründung seines Antrags auf vorzeitigen Ruhestand. Angesichts der „Frechheit, Unverschämtheit und Roheit einer nicht mehr zu bändigenden männlichen Schuljugend“ sah er sich ohne seinen Rohrstock nicht mehr in der Lage, für Ordnung und Disziplin im Unterricht zu sorgen.

Walther Roch

Großonkel Walther Roch war Lehrer in Pieschen. Den Rohrstock wollte er nicht missen.

Aufgeschrieben hat diese Geschichte Gisela Purath. Die 1936 geborene Trachauerin kennt Lehrer Roch noch persönlich – ein Großonkel in der weitläufigen Verwandschaft. „Er war ein Oberlehrer, wie er im Buche stand“, meint sie. Und er habe wunderbar Klavier gespielt und beeindruckende Tischreden gehalten. Ihre Erinnerungen an Lehrer Roch haben auch Eingang in die Chronik zum hundertjährigen Jubiläum des Pestalozzi-Gymnasiums gefunden. Von ihm gesammelte Postkarten, Zeitungsausschnitte und Kalenderblätter, die sie sorgfältig aufbewahrt hat, waren ihr dabei eine große Hilfe.

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Seit Gisela Purath im Jahr 2000 in Rente gegangen ist, kann sie ihr Interesse an Geschichte und Geschichten so richtig ausleben. Ausführlich recherchiert sie seitdem das Leben ihrer eigenen Familie, vervollständigt den verzweigten Stammbau, fährt selbst zu den Wohnorten ihrer Vorfahren und sucht in alten Kirchenbüchern nach Einträgen, um Gewissheit über Geburt, Hochzeit, Taufe oder Tod zu bekommen. Aktuelle Fotos macht sie dann selbst.

Purath-Chronik Band 1

Band 1: Die Ur-Urgroßeltern Christian Leberecht Lubisch (1795 – 1866) und Johanna Sophia Jubisch (1802 – 1869).

Die ausführliche Dokumentation der verschiedenen Lebenswege und Orte ihrer Familie ist auf den unglaublichen Umfang von inzwischen elf Bänden angewachsen. Das Werkzeug, um alles ordentlich zu dokumentieren, einzuscannen und auf dem Rechner zu archivieren hat sie sich bei ihrer Arbeit am Universitätsklinikum angeeignet. Dort war sie für die Literaturdokumentation verantwortlich. Auch die Bildbearbeitung beherrscht sie perfekt. Dabei hat sie festgestellt, dass die Fotos bis in die 30er Jahre noch eine sehr gute Qualität hatten. Besser, als zu DDR-Zeiten, meint sie. Die ersten Einträge in der Chronik stammen aus dem Jahr 1727. Das älteste erhaltene Foto wurde 1786 aufgenommen.

„Ich möchte gern schildern, wie die Menschen in ihrer Umgebung gelebt haben und wie ihr Leben durch die geschichtlichen Ereignisse beeinflusst wurde“, beschreibt Gisela Purath ihren inneren Antrieb und hat gleich die Geschichte parat, die für ihren Vornamen ausschlaggebend war. Ihre Mutter und die Bäckersfrau Paulitschke, bei der sie immer einkauften, waren zur gleichen Zeit schwanger. Weil die Bäckersfrau eher entband und die Tochter Rosemarie nannte, war der Lieblingsname der Mutter nun schon vergeben. Darum heiße ich jetzt Gisela. „Aber ich kann damit gut leben“, sagt sie.

Purath Gisela PC

Am Arbeitsplatz herrscht bei Gisela Purath penible Ordnung. Foto: W. Schenk

In dem Haus in der Dorothea-Erxleben-Straße 13 lebt sie seit ihrer Geburt. „Zu den Häusern der Familie plane ich einen eigenen Band“, sagt Gisela Purath. Da ist dann wohl auch die Geschichte über die russischen Offiziere beschrieben, die 1945 über Nacht dort eingezogen waren und bis 1946 blieben. „Wir konnten dann zwar in das Dachgeschoss zurück. Es war dennoch eine unruhige Zeit. Wenn der Oberstleutnant betrunken war, hat er immer in die Decke geschossen“, erinnert sie sich. Die Decke hielt. Ihr Großvater, ein Kaufmann für Eisenwaren, hat das Haus 1905 gebaut – stabil genug, wie sich herausstellte.

Den ersten Band der Familienchronik hat Gisela Purath zu Weihnachten 2015 ausgedruckt und binden lassen. Zwei Exemplare bekamen ihre beiden Söhne als Geschenk. Für meine Kinder und Enkelkinder sind die Bände 10 und 11 reserviert. Bis dahin ist noch viel zu tun. „Das ganze Material aufzubereiten und so zu beschreiben, dass eine Familiengeschichte daraus wird, ist mindestens so aufwändig, wie das Sammeln“, sagt die Chronistin. Sie hat die Hoffnung, dass ihre Enkelin die Tradition einmal fortführt. Zumindest finde sie die Geschichten, die die Oma erzählt, toll. Das sei so lebendig und nicht so langweilig, wie in der Schule. Auch das ist ein Grund für Gisela Purath, weiter zu machen.

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